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Y-JOBS

17. Oktober 2025

Das Sofa 38

Dr. Jörn Rieckhoff von der TU Braunschweig im Gespräch mit führenden Köpfen aus Wissenschaft und Forschung. Gemeinsam stellen sie sich der Frage, wie Innovationen hier bei uns in der Region einen echten Mehrwert bieten.

Fotografie: Marc Stantien

Der Geniekult gehört längst der Vergangenheit an. „Wissenschaftler:in“ ist heutzutage ein – wenn auch intensiver und fordernder – Beruf, und bahnbrechende Erkenntnisse sind nur noch als Teamwork denkbar. Aber auch wenn das Netzwerken in und jenseits der eigenen Institution zum Alltag gehört, ist Zeit ein knappes Gut. Umso schöner ist es, was an diesem lauen Spätsommertag gelingt: Fünf führende Köpfe der Wissenschaftsszene Braunschweigs kommen auf der Dachterrasse des Braunschweiger Okerhochhauses zusammen, um sich über die Rolle ihrer Zunft für die Innovationskraft unserer Region auszutauschen. Der Ort ist symbolträchtig gewählt: Hier oben entsteht gerade die neue TU-Skylounge – ein Reallabor für ressourcensparendes Bauen, das sich die Architektinnen Prof. Elisabeth Endres und Prof. Almut Grüntuch-Ernst der TU Braunschweig ausgedacht haben. 

Vom Okerturm geht der Blick über die Stadt und weit hinaus in die Region. Wie empfinden Sie die Stimmung: Gibt es eine Bereitschaft, Neues anzupacken?

Martin Korte: Ja, der Blick und die Gedanken fliegen weit und unbeschwert vom universitären Alltagsgeschäft, ein wunderbarer Ort ist das.
Angela Ittel: Es ist großartig, dass wir uns hier am Zentralcampus treffen. Die TU Braunschweig ist weit mehr als ein Studien- und Forschungsbetrieb. Wir verstehen uns als Impulsgeber mit starken Wurzeln in der Region. Nur allzu gern habe ich zum Jahresbeginn den Vorstandsvorsitz der ForschungRegion übernommen. Wir wollen mitgestalten, wenn es darum geht, relevante Akteure für die Zukunft an einen Tisch zu bringen.
Cornelia Denz: Ich bin vor gut drei Jahren aus Münster nach Braunschweig gekommen. Beides sind Universitätsstädte – bei ihnen liegt es sozusagen in der DNA, Innovationen zu leben und Neues anzupacken. Hier in Braunschweig erlebe ich eine gemeinsam sich immer weiter entwickelnde Region, die sehr engagiert das Ziel folgt, einen offenen, dynamischen Raum zu schaffen, in dem Ideen gedeihen können und reale Experimentierräume für wissenschaftliche, unternehmerische oder soziale Innovationen geschaffen werden. 

Aus der Organisationsentwicklung wissen wir, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit eine unabdingbare Voraussetzung für Innovationen ist. Welche Rolle spielt das für Ihren Alltag, für Ihre strategische Zukunftsplanung?

Josef Penninger: Zusammenarbeit ist das Fundament jeder erfolgreichen Forschung. Gerade in der Biomedizin lassen sich die großen Fragen unserer Zeit nicht mehr von einzelnen Disziplinen allein beantworten. Genau das leben wir hier in Braunschweig. Ein erfolgreiches Beispiel ist das BRICS – das gemeinsame Zentrum von HZI, TU Braunschweig, PTB und der Leibniz-Institut Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ). Dort werden Infektionsprozesse mathematisch und mit KI simuliert, um Erkrankungen besser zu verstehen und die Medikamente von morgen zu entwickeln. Die unmittelbare Nähe zu Forscher:innen im klassischen Labor und Mediziner:innen sorgt dafür, dass unsere Forschung schnell den Weg zu den Patient:innen findet.
Vanessa Carlow: Ich bin Architektin und Stadtplanerin und forsche mit meinem Team zu nachhaltiger Stadtentwicklung. Das ist per se keine Arbeit, die man allein machen kann. Eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, bedarf einer „Multiperspektive“ – je bunter, desto besser. Allein im letzten Jahr spannte sich das Spektrum unserer Projekte von der Dorfentwicklung in Wasbüttel mit Studierenden bis zu COABS – einem kollaborativen Projekt zur Klimaanpassung mit und in Braunschweig. Besonders reizvoll ist es für mich, transdisziplinär zu arbeiten. Die Idee ist, die Ergebnisse aus der gemeinsamen Arbeit auch in die „wahre“ Welt zu übertragen. Für die strategische Zukunftsplanung bedeutet dies: offen sein und gern an Türen klopfen.
 Angela Ittel: Es ist meine feste Überzeugung: Die Zukunft der Wissenschaft liegt in der Kooperation! Nur wenn wir unsere Ressourcen bündeln, Kooperation vor Konkurrenz stellen und gemeinsame Strukturen aufbauen, können wir Krisen wirksam begegnen. 

Wir befinden uns in einer der forschungsintensivsten Regionen Europas. Wie profitieren Sie und Ihre Institution von diesem besonderen Umfeld?

Martin Korte: Ich suche bewusst den Kontakt zu Kolleg:innen außerhalb meines engeren Fachgebiets. Gerade die Vielfalt an Hintergründen und Denkweisen der umliegenden Forschungsinstitutionen und der TU-Forschungszentren eröffnet neue Zugänge und kann so auch bei mir etablierte Annahmen hinterfragen – ein in meinen Augen wichtiger Nährboden für Innovation.
Josef Penninger: Die Region Braunschweig ist ein einzigartiger Forschungs-Hotspot. Die Wege sind kurz – sowohl geografisch als auch fachlich. Aus einem Gespräch beim Mittagessen wird schnell eine Kooperation. Das ist ein Standortvorteil, den man nicht hoch genug einschätzen kann. Als Beispiel: In Braunschweig und Niedersachsen arbeiten wir gemeinsam an neuen Antibiotika gegen gefährliche Bakterien. Hier findet die gesamte Translationskette statt – vom molekularen Verständnis im Labor über präklinische Studien bis hin zur Anwendung am Klinikbett. 
Angela Ittel: Dieser dynamische Forschungsraum ist ein Anziehungspunkt für unsere Studierenden, nicht zuletzt mit Blick auf innovative Job-Perspektiven. Dabei pflegen wir den engen Schulterschluss mit der Wirtschaft und kooperieren etwa im Zukunftsfeld KI eng mit Volkswagen, sowohl bei der Forschung als auch in der Lehre. Zugleich ist es mir wichtig, dass wir uns als Institution herausfordern lassen und das Gespräch mit der Gesellschaft suchen. Unser Science and Art Lab hat sich erfolgreich etabliert: durch die Auftakt-Bespielung des Wissenschaftsschaufensters ebenso wie durch künstlerische Interventionen in Zusammenarbeit mit unserem Exzellenzcluster QuantumFrontiers.
Cornelia Denz: Die Einrichtungen in der Region ergänzen sich hervorragend und ermöglichen es über Branchengrenzen hinweg, vorhandene Expertise leicht zusammen zu fügen. Und damit können wir die Region gemeinsam strategisch in die Zukunft entwickeln, wir können die wichtigen Themen der Region wie Quantentechnologien, Mobilität und Energie mit dem Wissen aller hervorragend platzieren.

Belastbare Netzwerke entstehen oft aus dem persönlichen Kontakt, aus gegenseitigem Vertrauen. Wie erleben Sie Ihr Forschungsumfeld? 

Cornelia Denz: Ich erlebe die Netzwerke in der Region als sehr zugewandt und offen. Ich denke, dieses Mindset ist ein entscheidender Faktor einer Innovationskultur. Als Bundeseinrichtung können wir in die Region exzellente Infrastruktur und exzellente angewandte Forschung sowie Industrienähe einbringen, die sich mit anderen Einrichtungen ideal ergänzt. So wachsen wir in der Region gerade in den innovativen Themen zu einer starken Allianz zusammen.
Martin Korte: Innovationen entstehen für mich selten allein im stillen Kämmerlein, sondern im Austausch mit Kollegen:innen und Doktoranden:innen – sei es in Diskussionen über erste, unfertige Ideen oder in der gemeinsamen Bearbeitung komplexer Fragestellungen. Persönlicher Kontakt, auch jenseits formaler Meetings, spielt dabei eine zentrale Rolle. Hierbei bemühe ich mich um Transparenz und teile Daten, Methoden sowie vorläufige Ergebnisse frühzeitig.
Vanessa Carlow: Gerade in der transdisziplinären Forschung ist Vertrauen enorm wichtig. Grundlagen dafür sind: Erstens gut zuhören und zweitens verstehen, was die Partner:innen brauchen und was sie leisten können. Und drittens auch klar sein damit, was man von einer Universität wie unserer erwarten kann und was hingegen eher Aufgaben von Planungsbüros sind – für die wir unsere Studierenden ausbilden. 
Josef Penninger: Vertrauen ist die Währung der Wissenschaft. Nur wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird, sie gehört werden und ihre Ideen Raum bekommen, entsteht eine Atmosphäre, in der wirklich Neues wachsen kann. Um dieses Vertrauen nachhaltig abzusichern, setzen wir auch auf Strukturen, die Nachwuchs und Spitzenkräfte gleichermaßen anziehen. Durch Ko-Berufungen von HZI und der TU Braunschweig holen wir internationale Köpfe in die Region, die unsere Spitzenforschung weiter vorantreiben. 

Die TU Braunschweig hat unter dem Label „Ecoversity“ ein großes Innovationsprojekt gestartet, das verbindliche Formen der Kooperation ins Zentrum stellt. Sehen Sie Möglichkeiten, nun enger mit anderen Institutionen zusammenzurücken?

Martin Korte: Ich sehe in dieser Initiative nur Vorteile. Weil wir das, was wir erforschen wollen, nun auch mit administrativer Hilfe und viel Rückenwind leichter leben können. Rückenwind zur rechten Zeit.
Angela Ittel: Die Ecoversity-Initiative gibt uns an der TU eine großartige Perspektive unsere Spitzenforschung weiterzuentwickeln. Experten unserer Forschungsschwerpunkte Metrologie und Engineering for Health entwickeln unter dem Titel BrightBrain neue Ansätze zur Heilung von Volkskrankheiten wie Parkinson und Diabetes. Ebenso zukunftsweisend ist das Projekt ReSpace! unserer Schwerpunkte Mobilität und Stadt der Zukunft. Respace! untersucht, wie wir weiter mobil sein können – allerdings in „reaktionsfähigen Räumen“, die die Veränderungen der Umwelt miteinplanen. 
Derartige Großprojekte gewinnen an Schlagkraft, indem wir mit Unternehmen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen stärker gemeinschaftlich agieren: in der Personalgewinnung oder der Nutzung hochspezialisierter Großgeräte. Beide Themen werden mit jeweils 5 Millionen Euro gefördert und tragen dazu bei, dass unsere Spitzenforschung in enger und verbindlicher Absprache mit unseren regionalen Partnern international noch sichtbarer wird.
Cornelia Denz: Auch bisher schon kooperiert die PTB hervorragend mit der TU Braunschweig. Der gemeinsame Schwerpunkt Metrologie, der in Quantentechnologien genauso ausstrahlt wie in Biotechnologie, Information Science, Mobilität und Stadt der Zukunft, haben wir mit Professuren und Projekten schon hervorragend ausgestaltet. Die Ecoversity erlaubt es uns, nun in neuen Themenbereichen, die gerade erst entstehen, gemeinsame Wege zu gehen, und für die Region neue Themenfelder zu erschließen. So können wir beispielsweise im Bereich Energien, wie Batterien, die Stärke der Forschungsregion weiter ausspielen.
Vanessa Carlow: Mit Ecoversity sehe ich das Potential, sich noch tiefer in die Region hineinzugraben, ebenso wie international zu vernetzen. Wir fokussieren in unserer Forschungsgruppe ReSpace! Klimaanpassungsstrategien – von der Grundlagenforschung bis zur konkreten Umsetzung. Auch wenn es banal klingen mag, eine kleine Innovation in diesem Kontext ist es bereits, dass alle Doktorand:innen gemeinsam an einem Ort arbeiten: von der Geoökologie, Datenwissenschaften über die Mobilitätsplanung, Architektur und Kulturwissenschaften. Das bekommt momentan keine mir bekannte Stadtverwaltung hin! 

Ein Blick aus der historischen Vogelperspektive: Wie haben sich die Rahmenbedingungen für Innovationen verändert? 
Cornelia Denz: Als die PTR, die Vorgängerin der PTB, vor mehr als 130 Jahren gegründet wurde, war sie – so würden wir es heute sagen – disruptiv innovativ: die erste außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die erste interdisziplinäre Verbindung von Grundlagen in der Physik und technische Anwendungen, und die erste Einrichtung, die in Berlin mit anderen Forschungseinrichtungen und Universitäten kooperierte. Dies ist auch heute unsere Maxime. Die großen Herausforderungen unserer Zeit brauchen heute mehr denn je genau solche vielschichtigen, diversen Perspektiven, um angegangen zu werden. Viele aktuelle Krisen beschleunigen auch die Notwendigkeit, zusammen zu stehen, um adaptiv und gleichzeitig resilient voranzuschreiten. Auch unsere Region befindet sich in dieser Transition, und diese kann nur durch gemeinsame Ökosysteme angegangen werden.
Martin Korte: Disruptive Ideen zu entwickeln und auch bei Ausbleiben eines Anfangserfolges durchzuhalten, ist schwieriger geworden. Hier würde man sich eine nachhaltigere Grundförderung wünschen, die es erlaubt, wichtige Forschungsthemen – gerade wenn sie provokant sind – auch voranzutreiben. Die Volkswagen-Stiftung hat zu diesem Thema gerade eine innovative Ausschreibung gemacht: Der Antrag soll neue, risikoreiche, eben innovative Forschungsideen beinhalten – und das mit Bezug zu neurodegenerativen Erkrankungen wie der Alzheimer-Erkrankung. Selbstverständlich haben wir uns an dem Verfahren beteiligt.

Wissenschaft lebt davon, die Welt um uns herum immer wieder zu hinterfragen. Wie bekommen Sie den Kopf frei für neue Ideen?

Vanessa Carlow: Wenn wir Inspiration brauchen, schauen wir raus in die Welt – beispielsweise nach Singapur. Dort haben wir vor zwei Jahren eine Forschungspräsenz der TU Braunschweig gegründet – offen für alle interessierten Forschenden. Diese Stadt hat mich mit ihrem holistischen Ansatz nachhaltiger Entwicklung zu einer „net zero city“ wirklich in den Bann gezogen. Mein Institut bietet dort im Februar auch eine Fachexkursion für Planer*innen und Entscheider*innen an. 
Cornelia Denz: Ich selbst kann besonders in entspannten Momenten meine Gedanken frei fließen lassen – ob beim Spaziergang an der Oker oder unter der Dusche – und dabei entstehen oft die besten Ideen „out of the box“. In unseren Teams wenden wir viele agile, kreative Methoden an, um frei von Zwängen neue Ideen zu generieren – und schaffen ein wertschätzendes und vielfältiges Umfeld, in dem es Spaß macht, immer wieder die Welt zu hinterfragen und Neues in großen Zusammenhängen mit unseren Partner:innen aus der Region und weltweit auszuprobieren.
Martin Korte: Wissenschaft bedeutet für mich genau dieses bewusste Hinterfragen von Routinen. Daher legen wir in unserem Forschungsschwerpunkt großen Wert auf bewusste Perspektivwechsel. Wir versuchen, Arbeitsabläufe nicht nur effizient, sondern auch abwechslungsreich zu gestalten – etwa durch Speed-Dating Meetings, Brainstorming-Sessions außerhalb der üblichen Arbeitsräume oder kurze Exkursionen zu Partnerinstitutionen. 
Angela Ittel: Neue Ideen stellen sich bei mir im Austausch ein – durch das Kennenlernen anderer Standpunkte. In dieser Hinsicht erlebe ich die TU Braunschweig als Melting Pot der Inspiration. Zusätzlich befruchtend ist der Perspektivwechsel, den ich als Vizepräsidentin der Hochschulrektorenkonferenz und als Co-Präsidentin des TU9-Netzwerks finde – auf internationaler Ebene zusätzlich bei Delegationsreisen, auch zu strategischen Partneruniversitäten. Es erfüllt mich zutiefst, alle diese Impulse für meine Tätigkeit hier in Braunschweig nutzbar zu machen.

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