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HARZGLANZ

17. November 2023

Zwischen Nostalgie und Neustart

Nach langer Bandpause hatten sich die Sportfreunde Stiller Ende 2022 mit dem Album „Jeder nur ein X" eindrucksvoll zurückgemeldet.

Auch auf ihrer Tour, die am 28. September nach Braunschweig ins Westand führt, werden die Sportis gefeiert. Mit Stadtglanz-Chefredakteur André Pause spricht Sänger und Gitarrist Peter Brugger über die Auszeit, den ungebrochenen Spaß an der Musik und den besonderen Zauber des Live-Moments.  

Ihr hattet vor dem neuen Album als Band eine lange Pause eingelegt. Wie hat sich das auf den Produktionsprozess und damit auf die Band ausgewirkt?  

Das war schon anders. Als wir uns nach der Pause wiedergetroffen hatten, sind wir gar nicht mit dem Plan zusammengekommen, ein neues Album zu machen oder gleich loszuproduzieren. Wir wollten uns treffen und schauen, wie die Atmosphäre untereinander ist, ob wir wieder etwas miteinander machen wollen, ob es geht und wir Bock kriegen auf Musik. Das hat sich zum Glück relativ schnell herauskristallisiert. Wir haben dann Ideen gesammelt und gesagt: Lasst uns erstmal mit einem Lied starten. Wir haben also keinen großen Masterplan aufgestellt, sondern irgendwie losgelegt, das Studio in Wien gebucht und einen alten Kumpel gefragt, ob er es produzieren will. Der Tobi Kuhn hat das dann sehr gut gemacht mit uns und diesen ganzen Unsicherheiten, die wir aus der Pause und aus der Krise mitbrachten.

Du sprichst von Krise. Wie bedrohlich war die?

Wir sind in diese Pause eher so reingeschlittert. Ich hatte Mitte 2017 schon gesagt, ich mag erstmal eine Auszeit haben, mich um Family und andere Sachen kümmern. Dann wurde die Zeit aber immer länger und es wurde immer schwieriger, aufeinander zuzugehen, weil das Gefühl da war, wir müssen erstmal eine ganze Menge klären und besprechen. Daraus resultierte eine große Unsicherheit, ob es uns noch gibt oder wie es uns weitergeben kann. Irgendwie hatte auch niemand Bock, wieder den gleichen Stiefel zu machen.

In die Entstehungszeit der Platte fiel Eurer 25-jähriges Bandjubiläum. Wie fühlt sich das an?  

Man muss diese in unserem Fall bestehende Dreierbeziehung natürlich pflegen, muss aufeinander schauen und sich austauschen: Was ist gerade wichtig? Dann geht man durch Höhen und Tiefen, weil uns die Leidenschaft zur Musik schon sehr verbindet. Und gleichzeitig ist da natürlich ein Business, das wir gemeinsam besprechen müssen. Wenn ich jetzt zurückschaue, dann bin ich stolz: Wie lange wir das schon zusammen machen, was wir alles erleben durften – und dass diese Geschichte eben noch nicht vorbei ist. Was jetzt gerade ist, genieße ich sehr, das ist so eine Mischung aus Nostalgie und Neustart. Eine tolle Energie, die da gerade am Start ist.

Beim Albumtitel musste ich sofort an die berühmte Kreuzigungs-Szene aus dem Monty-Python-Klassiker „Das Leben des Brian“ denken. Hattet Ihr das im Hinterkopf? Das ließe sich, im Bandkontext betrachtet, ja als Kreuzigung und Wiederauferstehung deuten.

Monty Python hatten wir auf jeden Fall im Hinterkopf. Deine Deutung war bei uns jetzt nicht so da, finde ich aber auch gut, weil es schon etwas hat von: die alten Sportfreunde ein bisschen begraben, die neuen Sportfreunde wiederauferstehen lassen. Ich finde, das ist ein schönes Bild. Was uns geblieben ist, ist der Humor von Monty Python, der alle aus unserer Generation schon damals sehr geprägt hat, so umwerfend, krass und böse, so düster und gleichzeitig so unglaublich lustig. Auch die Themen, die die damals behandelt haben, sind uns geblieben. Und das finde ich so erstaunlich, wie das auch heute noch in die Zeit passt.

Ich finde vor allem, dass es beim neuen Album ein durchgehend ambitionierteres Reflektionsniveau gibt.

Danke, das nehme ich als Kompliment! Ich denke, es ist nicht so, dass wir gar nicht gereift sind in all den Jahren. Wir haben sowohl musikalisch als auch inhaltlich immer geschaut: Was passt denn jetzt zu uns? Natürlich sind es Themen wie Beziehungen oder gesellschaftliches Zeug, die uns die ganze Zeit begleitet haben. „Jeder nur ein X“ dagegen entstand als letztes Lied des Albums und unter dem Eindruck des gerade gestarteten Angriffskriegs der Russen auf die Ukraine. Da waren wir so schockiert, dass nach der Pandemie, als gerade die Hoffnung bestand, dass alles wieder ein bisschen leichter wird, das nächste bittere Thema kommt. Mit der Konsequenz, dass wir glücklich sein können, in einer Demokratie leben und unser Kreuz machen und mitbestimmen zu können. Wer hätte denn gedacht, dass das solch ein Thema ist in Europa, dass man wirklich schauen und darum kämpfen muss, dass das auch so bleibt. Alles das floss mit ein in dieses Lied.

Die positive Wendung zieht sich bei euch durchs Werk. „Wir stellen einen Wächter immer Richtung Licht“ – eine Zeile aus „Wächter“ bringt das gut auf den Punkt. Woher nehmt ihr die Zuversicht und wie schafft man es, das Ganze nicht wie Zwangsoptimismus aussehen zu lassen?

Wir haben uns da viel drüber ausgetauscht und hätten auch gerne mal ein Thema düster stehenlassen wollen, aber am Ende haben wir immer irgendwie Lust auf eine Lösung oder eine positive Aussicht. Das steckt in uns dreien drin. Wir kriegen das auch nicht raus (lacht). Am Ende geht’s um die kurzen Momente im Leben, wo es zwischen zwei oder mehr Menschen einfach passt, und man das Drumherum, die Sorgen vergisst. In diesen Momenten auf die schlechten Zeiten zu scheißen, um Energie zu sammeln, mit den ganzen Herausforderungen klarzukommen, darum geht’s.

Musikalisch ist das Album unverkennbar Sportfreunde, insgesamt aber ausgesprochen facettenreich: „Candelight & Hardcore“ klingt zum Beispiel, als ob Red Hot Cilli Peppers’ Flea Bass spielt. Ist die Platte unter musikalischen Gesichtspunkten so etwas wie eine Experimentierwiese?

Ja, schon. Wir haben viel ausprobiert. Da hat auch Tobi einen großen Einfluss gehabt, der bei vielen Liedern unsere Demos genommen hat, die auseinandergehexelt und wieder zusammengeschraubt hat, um es uns vorzustellen, zu sagen: Was haltet ihr davon, in diese Richtung zu gehen? Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht, das alles mal zu öffnen, mal wegzugehen von diesem Dreiersound, der uns eh ausmacht. Der ist einfach da, wenn wir spielen und wohl das, was Du mit „unverkennbar Sportfreunde“ meintest.  

Die Musikindustrie hat sich, durch Social Media und Streaming, in den letzten Jahren stark verändert. Wie habt ihr das als gestandene Band wahrgenommen?

Erstmal war es so, dass ich gar nichts mehr kapiert habe. Das ist schon geil, wenn man älter wird und denkt, man checkt alles und dann checkt man plötzlich gar nichts mehr (lacht). Das ist auf eine interessante Weise verstörend, aber auch irgendwie gut, es zeigt halt auch, dass man nicht immer sagen kann, so wie es war wird’s immer sein. Das mussten wir als Band auch lernen. Als Social Media dazukam, dachten wir erstmal: aha, okay. Natürlich werden wir nie den natürlichen Umgang haben wie junge Menschen, die damit aufwachsen. Wir versuchen etwas einfließen zu lassen, es aber nur dann zu machen, wenn’s auch bockt.  

Ihr habt immer wieder populäre und Radio-kompatible Songs geschaffen. Wie wichtig sind diese Hits und sind sie womöglich auch Hypothek?

Ich liebe den Moment, wenn wir live das Lied „Ein Kompliment“ anstimmen. Ich spiele den ersten Akkord, die Leute checken, was jetzt kommt und es ist solche eine Freude im Raum. Da ist ein Hit was Wunderbares. Wir haben mit „54,74, 90“ aber auch schon die Erfahrung gemacht, dass es uns ganz schön verzwirbelt, weil es damals unsere ganze Community durchgewürfelt hat, wir ins Straucheln gekommen sind und uns rechtfertigen wollten. Wenn man damit anfängt, wird’s schwierig und kompliziert (lacht). Was mir am meisten bedeutet, ist, wenn wir ein Konzert spielen und ich sehe, dass im Publikum jemand eine Rührung hat, die Person etwas mit einem bestimmten Lied verbindet.  

Ihr könnt den Live-Moment noch voll genießen, oder?


Ja, total! Wir stellen jetzt wieder fest, seit anderthalb Jahren spielen wir ja wieder Konzerte. Es ist das, was uns das meiste gibt: der direkte Kontakt mit den Leuten, Krach machen und reinholzen. Wir werden jetzt noch weiter live spielen, sind gerade am planen für nächstes Jahr, da werden auch ein paar Konzerte kommen.  

Wie hast Du eigentlich persönlich die bandfreie Zeit genutzt?

Ich war tatsächlich einfach zu Hause Hausmann und Daddy, habe mich um die Waschmaschine gekümmert und ums Gassigehen. Und am Abend, dachte ich, mache ich dann mein Zeug. Dann saß ich da so und habe gemerkt: Nein, ich mache kein Zeug mehr, weil ich wirklich durch bin vom Tag (lacht).

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 28 / Herbst 2023.

 

André Pause

ist seit dem 01.03.2023 Head of Content der mediaworld GmbH sowie Chefredakteur des Magazins Stadtglanz. Nach seinem Studium an der FH Hannover schrieb und fotografierte der Diplom-Journalist freiberuflich für regionale Medien sowie die Deutsche Presseagentur (dpa) und Fachzeitschriften aus dem Bereich Kultur. Zuletzt verantwortete er als Chefredakteur der Industrie- und Handelskammer (IHK) Braunschweig sechs Jahre lang deren Mitgliederpublikation „IHK Wirtschaft“.

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