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HARZGLANZ

1. April 2020

Hör nicht auf den Schmerz

Eine ebenso befreiende wie beängstigende Erfahrung

(Fotografie: Adobe Stock/VRD, Yevheniia Yasenenko, Apimook, Ksana Graphica)

In unserem stressigen Alltag sind wir meistens getrieben davon, die Menschen um uns herum glücklich zu machen oder wenigstens zufrieden zu stellen. Sei es der Partner, Freunde, Familie oder Arbeitskollegen und Vorgesetzte.

Dabei vergessen wir oft das Wichtigste – uns selbst und unser Wohlbefinden.

Ein Weg, um das zu vermeiden, kann es sein, zu meditieren. Ich habe es versucht und dabei nicht nur meinen Horizont erweitert, sondern bin auch an Grenzen gestoßen – sowohl körperlich als auch spirituell und geistig.

Das ist doch Hokospukus

Nun muss ich gestehen, dass ich dem Thema „Meditation“ zunächst nicht gänzlich vorurteilsfrei begegnet bin. Für mich war das Hokupokus. Was soll es mir bringen, wenn ich stundenlang einfach nur rumsitze? Das hatte ich in der Schule und anschließend in der Uni dauernd gemacht und mich dadurch nicht gerade achtsamer oder ruhiger gefühlt – Langeweile war das höchste der Gefühle. Als mir aber ein vertrauter Freund von seinen Erfahrungen berichtete und vorschlug, ihn mal zu einer seiner Meditationssitzung zu begleiten, brauchte es trotz meiner Vorurteile nicht allzu viel Überzeugungskraft. Ich war sogar ziemlich aufgeregt. Denn so eine Séance hat feste Abläufe, die vom Betreten bis zum Verlassen des Meditationsraums beachtet werden müssen. Dabei geht es vor allem darum, sich nicht mehr auf seine Handlungen konzentrieren zu müssen, weil es sich um den immer gleichen Ablauf handelt, der sich irgendwann automatisiert.

Zunächst hieß es Schuhe aus. Bevor ich den Raum barfuß betrat, verneigte ich mich einmal in den Raum hinein. Dann ging ich eine schnurgerade Linie bis zur Wand, drehte mich auf dem Absatz um 90 Grad in Richtung der Meditationsbank, setzte meinen schnur-­ geraden Gang bis dorthin fort und blieb stehen, bis alle Teilnehmer der Sitzung ihren Platz erreichten – wir verneigten uns erneut und setzten uns.

Bis der Gong ertönt

In diesem Sitz kniete ich auf einem Kissen, unter meinem Gesäß befand sich eine kleine Meditationsbank mit abgerundeten Beinen, der Rücken gerade und die Hände unterhalb des Bauchnabels, dort, wo die Mitte des Körpers lokalisiert wird, ineinandergelegt. Eine Position, in der sich zunächst so anfühlte, als könnte ich wochenlang darin verweilen. Nachdem einige bedachte Worte gesprochen wurden, ertönte der Gong.

Ab diesem Moment, bis zum nächsten Klang, war vollkommene Stille angesagt. Das Problem war jedoch, auch wenn es um mich herum mucksmäuschenstill war, hätte es in meinem Kopf lauter nicht sein können. Tausende Gedanken, schossen mir durch den Kopf – substanzielle Gedanken; Sorgen, Zukunftsängste, Unsicherheiten oder schlicht Alltägliches – sie wollten sich dem Wunsch nach Stille partout nicht unterwerfen. Also ließ ich sie zu.

Nach ungefähr 20 Minuten wurde es zwar langsam ruhiger, aber dafür meldete sich nun mein Rücken mit dem unverwechselbaren Gefühl von stechendem Schmerz in meinem zentralen Nervensystem. Davor hatte mein Freund mich schon gewarnt. „Dein Körper wird Dir Schmerz signalisieren, er wird Dir sagen, dass Du nicht mehr kannst und aufhören musst. Hör nicht auf ihn, überwinde den Schmerz“, sagte er.

Leichter gesagt als getan: Aber ich versuchte, mich weiter auf die Atemtechnik zu konzentrieren, die mein Freund mir zuvor gezeigt hatte und tatsächlich, nach 30 Minuten bekam ich das vorsichtige Gefühl, es im Griff zu haben – nochmal zehn Minuten später war es tatsächlich still – keine Schmerzen mehr. Und das war echt merkwürdig. Hatten Sie schon mal das Gefühl, dass ihr Kopf völlig leer ist? Ich meine nicht sprichwörtlich, sondern wörtlich. Eine ebenso befreiende wie beängstigende Erfahrung.

Kurz darauf ertönte der Gong und holte mich zurück in die Realität. Ich verließ den Raum, wie ich ihn betreten hatte und machte mich wortlos auf den Weg nach. Obwohl ich über die gesamte Sitzung hinweg eine gewisse Anspannung ob dieser neuen Erfahrung spürte und mich dementsprechend auch nicht wirklich fallen lassen konnte, war ich an­ gefixt. Fortan nahm ich jede Woche an den Sitzungen teil. Von Mal zu Mal verringerte sich die Dauer bis zu dem Moment der Leere im Kopf. Später hatte ich sogar spirituelle Erlebnisse wie ein Gefühl des „Loslassens“, in denen ich mich zumindest kurzfristig völlig frei fühlte – eine unbeschreibliche Empfindung, die süchtig macht. Zudem fühlte mich insgesamt einfach ausgeglichener. Ich hatte mein gesamtes Leben sehr viel Sport getrieben, um meinen Körper fit zu halten– meinem Geist verweigerte ich dieses Training sowie das Bewusstsein dafür bis dahin aber immer.

Das innere „Ich“

Das einzige Problem: mein Körper. Denn durch meine lange Zeit als Fußballer hatte ich ein amtliches Knieproblem. Die Schmerzen während des „Sitzens“ auszublenden, klappte nach wie vor ganz gut, aber desto häufiger ich meditierte, desto länger hielten die Schmerzen im Anschluss an. Irgendwann musste ich mein Knie nach den Sitzungen stundenlang kühlen, was den Effekt des Meditierens schnell verfliegen ließ.

Ich berichtete meinem Freund davon und er sagte mir, dass es völlig egal sei, wo, wann und wie ich meditieren würde. Ich könne überall meditieren. Ich beherzigte seinen Rat und tue dies bis heute, wenn auch nicht so häufig wie damals. Aber allein das grund­legende Bewusstsein für das innere „Ich“ aufgebaut zu haben, hilft mir immens. Ich weiß nun, dass ich nicht nur darauf achten muss, meinen Körper gesund und fit zu halten, sondern auch und vor allem meinen Geist. Denn ein gesunder Körper ohne gesunden Geist ist nicht viel wert.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 15 / April 2020.

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