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HARZGLANZ

1. September 2018

Die digitale Revolution in der Kunst

Die technologische Zukunft

(Fotografie: Hubert Auer Bryan Reinhardt)

Dr. Matthias Röder ist Geschäftsführer des Eliette und Herbert von Karajan Instituts. Damit ist er verantwortlich für die Gesamtstrategie und weltweite Geschäftsentwicklung der Marke KARAJAN® und der damit verbundenen Produkte. Röder kam 2011 von der Harvard University zum Karajan Institute, wo er Mitglied der Musikfakultät war und 2010 in Musikwissenschaft promovierte. In diesem Jahr wird er mit Volkswagen partnerschaftlich zusammenarbeiten. Mit ihm sprach Stadtglanz-­Chefredakteur Jens Richwien über die technischen Entwicklungen in der Kunstwelt.

Jens Richwien: Herbert von Karajan sagte vor seinem Tod 1989 voller Vorfreude auf die digitale und technische Revolution: „Ich muss wohl auf eine zweite Existenz hoffen, an die ich fest glaube“. Was hat er denn die letzten 30 Jahre verpasst?

Herbert von Karajan hat ziemlich genau vorausgesehen, dass sich der gesamte Musikkreations- und –produktionsprozess grundlegend ändern wird. Und damit auch die Art, wie wir Musik überhaupt reflektieren. Wir sind in den letzten Jahren immer weiter von der Idee weggekommen, dass der Künstler das Album macht und wenn es fertig ist, geht es raus und wird nie wieder angefasst. Die Kunstwerke sind im Fluss. Sie sind gewissermaßen offene Kunstwerke. Das ist etwas, das ihm sicher sehr gefallen hätte. Konkret hat er letztlich schon in den 1960er-Jahren vorausgesehen, dass wir Musik zukünftig über Videos konsumieren werden.

Jens Richwien: Wenn wir die Kunst durch die digitalen Möglichkeiten immer mehr pimpen, entsteht da nicht eine Art Genmanipulation des Ursprungswerks?

Ich würde sagen, dass wir jetzt Musik für noch mehr Menschen möglich machen. Die Digitaltechnologien helfen vielen Menschen zu Komponisten zu werden, die vorher keine Chance hatten, das zu tun. Also es ist eigentlich ein Demokratisierungsprozess. Wir öffnen die Kunst. Kreativität wird für ganz viele Menschen möglich. Wir verändern natürlich das ursprüngliche Werk an vielen Stellen, aber das hatten wir vorher auch schon. Als das CD-Format aufkam, haben alle gesagt, wir manipulieren die Musik durch das Übersetzen des Audiosignals in Nullen und Einsen. Karajan sagte, dass wir die Manipulation schon immer hatten. Die Idee des Komponisten wird in ein sehr unvollkommenes Medium, nämlich die Musikschrift übersetzt. Dabei gehen schon Informationen verloren. Dann lesen und interpretieren die Musiker das, was mit diesen Schriftzeichen gemeint war. Das ist wieder eine Manipulation. Dann spielen sie, was sie in ihrem Kopf als Vorstellung haben auf ihren Instrumenten und können das auch nicht immer zu hundert Prozent umsetzen. Die nächste Manipulation. Und dann der Hörer, der das mal so oder so versteht. Manipulation ist eigentlich ein Teil von Musik. Man könnte sogar argumentieren, dass es das Schöne ist, dass es jedes Mal ein bisschen anders ist.

Jens Richwien: Hört man das Wort Hacker entsteht häufig dieser kriminelle Gedanke im Hinterkopf. Sie haben letztes Jahr 80 Hacker zur „Karajan Music Tech Conference“ eingeladen. Was wurde dort erarbeitet?

Hacker sind Leute, die mit Technologie kreativ umgehen und Technologien so einsetzen, wie sie ursprünglich gedacht waren. Das ist ein total kreativer Prozess. Ein Hacker ist also jemand, der kreativ ist. Wir wollten mit ihnen die wirklich kreativen Technologien ansprechen. Was haben wir da gemacht? Ein Hackathon oder ein Hackday ist eine Veranstaltung, an dem man ein oder zwei Tage zusammenkommt, über Ideen nachdenkt, brainstormed und dann aber auch anfängt, Dinge umzusetzen. Das heißt, die Leute sagen, was ist eine coole App, die ich im Bereich klassische Musik entwickeln kann? Was ist eine tolle neue Anwendung in der Technologie, die noch keiner gesehen hat? Und dann schließen sie sich in Teams zusammen und programmieren das einfach. Am Ende des Hackdays gibt es eine Präsentation der Ergebnisse. Wir haben das gemacht, weil wir eine Community von technologiebegeisterten Menschen und Klassikfans aufbauen wollten und das ist uns auch gelungen.

Jens Richwien: Nun findet diese Big-Data-Revolution ja nicht nur in der Musikbranche, sondern auch in anderen Bereichen der Kunst statt? Was passiert dort?

Ich sag mal, generell ist es so, dass mehr Menschen an dem kreativen Prozess teilnehmen können, als vorher. In der Musik gibt es diesen großen Trend des Remixens. Dort sagt man, ich nehm mir was von hier, ich nehm mir was von da und setze das in einen neuen Kontext. Daraus entsteht dann ein neues Werk. Es gibt das natürlich auch in den bildenden Künsten. Alles was zum Beispiel mit Film oder Fotos zu tun hat. Im Tanz spielt Digitalisierung eine nicht ganz so große Rolle. Dort gibt es aber auch viele Verbindungen von Licht, digitaler Musik und Bewegung. Und natürlich die Übertragung in den Virtual-Reality-Bereich. Das heißt, man hat ein Kunstwerk und Menschen können im digitalen Bereich dann an diesem Ort etwas erfahren, was in der realen Welt nicht zu sehen ist. Bis hin zu Realityjagden wie Pokémon. Inzwischen gibt es viele Kunstwerke, die mit dieser Idee spielen. Dass man sozusagen die Kunst aus den Museen rausbringt in die Straßen oder in die Städte und nur die Leute, die die App haben, können das überhaupt sehen.

Jens Richwien: In welchen künstlerischen Bereichen werden moderne Technologien heute schon bei der Entstehung eingesetzt?

Als erstes fällt mir dabei natürlich die Musik ein. Alles, was mit elektronischer Musik zu tun hat. Dort entsteht nichts mehr auf dem Papier. Man benötigt nicht mal mehr ein analoges Instrument. So würde ich es auch beim Film sehen. Wenn man sich die großen Filme, die in Hollywood, China oder Indien produziert werden, anschaut, sind sie zum großen Teil am Computer entstanden. Vieles geht dort digital heutzutage. Darsteller werden quasi als Daten aufgenommen und Umgebung, Kleidung und Gesichtszüge draufgemessen.

Jens Richwien: Also, Butter bei die Fische, verraten Sie uns ein paar Innovationen, auf die wir uns zukünftig freuen können.

Ich glaube, dass ganz große Thema ist die künstliche Intelligenz. Man stelle sich vor, das Instrument, mit dem man musiziert, ist in der Lage, den Künstler zu unterstützen und zu sagen, an welcher Stelle er noch nicht ganz so gut ist. Also intelligente Musikinstrumente. Oder überall bekommt man einen absolut perfekten Sound, egal wo man ist, durch superpersonalisiertes Audio. Jeder Mensch hört anders. Momentan sind unsere Stereoanlagen ziemlich dumm. Die wissen nicht, wie sie etwas für mein Gehör abspielen sollen. Das kommt in der Zukunft. Und dann die Möglichkeit, Musik viel leichter abzuändern. Wenn man ein Musikstück auf Spotify hört und mit einem Doppelklick auf das Stück die einzelnen Bestandteile erkennt und remixen kann. Da glaube ich fest dran, dass das kommt.

Jens Richwien: Also, das heißt die große Individualisierung?

Individualisierung und Personalisierung. Oder besser gesagt, auch wenn es das Wort nicht gibt, die Kreativisierung. Das Einbinden vom Publikum in ein Musikstück. Das heißt, ich kann es selber ändern. Kann selber kreativ sein. So wie ich heute mit einem Foto auf Instagram mache, wenn ich es mit einem Filter verändere, sodass es für meinen Geschmack passt. Das können wir mit der Musik momentan noch nicht. Aber das wird kommen.

Jens Richwien: Werden heute, Ihrer Meinung nach, junge Menschen ausreichend auf die von Algorithmen bestimmte Welt vorbereitet?

Ich glaube, junge Menschen lernen ziemlich intuitiv. Die wissen ganz genau, wie sie was auf Facebook oder anderen sozialen Medien, wie Instagram oder Snapchat posten können. Und auch welche Auswirkungen es auf die Art und Weise hat, wie sie wahrgenommen werden in der Gesellschaft. Ich glaube, die jungen Leute sind da viel besser drauf vorbereitet als die älteren, die noch analog aufgewachsen sind. Ich glaube aber auch, dass das ein Punkt ist, wo wir viel Aufmerksamkeit drauflegen müssen. Es gibt viele Leute, die nicht genau verstehen, wie Technologie grundsätzlich funktioniert. Sie sind zwar gute Anwender, aber die verstehen die Mechanismen nicht, die genutzt werden. Das ist eine Aufgabe für unsere Schul- und Ausbildungssysteme. Hier anzusetzen und sozusagen grund­legende Dinge zu erklären, wie zum Beispiel Algorithmen generell funktionieren, wäre als Schulfach nicht schlecht.

Jens Richwien: Jetzt gibt es eine Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Volkswagen. Worum geht es da?

Wir haben mit Volkswagen zusammen eine Partnerschaft in den Bereichen Kreativität, Innovation und Automobil entwickelt. Die Frage ist, wie sich Automobile in der Zukunft verändern und was das für das Musikgenre bedeutet. Und was bedeutet es vor allen Dingen für die Automobilbranche, wenn im Auto zukünftig viel mehr Medien konsumiert werden. Wenn das Auto zu einem völlig neuen Ding wird, was Konsum und Weiterbildung angeht. Darüber haben wir viel gemeinsam nachgedacht und Ideen entwickelt, die wir jetzt in Peking präsentieren. Also Innovation in dem Bereich Musik und Automobil.

Jens Richwien: Was denken Sie, über welche Zeiträume wir da reden? Wann wird das Auto zum personalisierten Entertainment-Center?

Also erstmal muss ja das autonome Auto kommen und bevor das kommt, kommt das automatische. Da sind aber die Kollegen von Volkswagen die Experten. Ich glaube, wir gehen schon die ersten Schritte in diese Richtung. Wenn man beispielsweise im Auto ist und mit dem Handy Musik hört oder die Sprachsteuerung anfordert. Der Zeithorizont ist wahrscheinlich irgendwo zwischen fünf und fünfzehn Jahren, in dem sich das Ganze abspielt.

Jens Richwien: Haben Sie persönlich noch einen Wunsch, was die technologische Zukunft angeht?

Ich wünsche mir, dass wir die Chancen, die uns die Technologien geben, nutzen, um unsere ureigenen menschlichen Ziele kreativer, besser und effizienter zu erreichen. Da ist noch viel Raum zum Entwickeln.

Jens Richwien: Matthias Röder, vielen Dank für das Gespräch.

Jens Richwien

Ehemaliger Fußball-Profi und Freizeit-DJ (Richy Vienna), war über 20 Jahre für die neue Braunschweiger tätig. Die letzten drei Jahre begleitete er STADTGLANZ als Objektleiter und Chefredakteur. Er ist seit Oktober bei der Hygia Gruppe beschäftigt, betreut dort das B2B-Business und arbeitet weiterhin als freier Redakteur.

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