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HARZGLANZ

1. Juni 2018

Keiner kommt hier lebend raus.*

Chancen sind wie Sonnenaufgänge, wenn du zu lange wartest, verpasst du sie!

(Fotografie: Gudrun Zwilgmeyer)

Sinnsprüche standen früher in Poesiealben. Heute bevölkern sie Facebook, eine wahre Sintflut von weisen, blöden, kitschigen Sätzen zum Sinn und Unsinn des Lebens.
Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden. Schwierige Wege führen oft zu schönen Zielen. Wenn du loslässt, hast du beide Hände frei. Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.

Ich habe dergleichen noch nie geliked. Ich like grundsätzlich nicht. Lese, was mein Kind und meine Freunde so posten und schreibe einen Einzeiler, wenn ein Buch von mir erscheint. Mit anderen Worten: Ich bin Facebook-Statist, hinterste Reihe. Fasziniert vom Mitteilungsbedürfnis der anderen, all den Fotos von Reisen, Sonnenuntergängen, Mahlzeiten, putzigen Haustieren, politischen Kommentaren, schrägen Witzen und geschmeidigen Lebensweisheiten. 

Zu letzterem gibt es eine Studie „of profund bullshit“ der Universität von Waterloo, Kanada, die zu dem Schluss kommt, dass es durchaus einen Zusammenhang zwischen suboptimaler Intelligenz und der Neigung zu Sinnsprüchen gibt. Dazu fällt mir nur noch Shakespeare ein: Besser ein weiser Tor als ein törichter Weiser. Noch was: Es gibt eine Reihe von absolut sinnfreien Studien.

Ich gehöre zu den rund dreißig Millionen Facebook-Nutzern in Deutschland, von denen sich geschätzte fünfzig Prozent im Netz austoben. Die andere Hälfte zählt zu den passiven Nutzern. Statisten. Stille Teilhaber. Auch dazu gibt es Studien, und sie kommen zu dem Schluss, dass die aktiven Nutzer glücklicher seien als die passiven. Das kann schon sein, wird mich aber nicht dazu bringen, mich auf Entertainment á la Facebook einzulassen. Ich weiß auch, worin die Wurzeln der Abneigung liegen: Generation Poesiealbum. Wir sind auf den Zug aufgesprungen, wir nutzen ihn, so gut wir können - und doch ist da ein starker Rest von Misstrauen. Wohin wird die Reise gehen? In Zuckerbergs Parallel-Universum? Wikipedia-Universitäten? Google-Sekten? In die Vereinigten Staaten von Amazon?

Sorget euch nicht, sagt Mark Zuckerberg. Tretet aus, sagen die Facebook-Kritiker. Ich mäandere noch, nur muss ich gestehen, dass ich gar nicht weiß, wie das geht, sich von Facebook zu verabschieden. Und wenn, würde ich vermutlich die Tierfilme und  Fotos und Sinnsprüche vermissen. Und ja, vor ein paar Wochen habe ich einen gelesen, der mir wirklich gefallen hat. Von dem grandiosen Schauspieler Anthony Hopkins.
Er geht ungefähr so:

*Keiner kommt hier lebend raus. Also lacht, esst, trinkt, tut, was euch und andere glücklich macht.

So oder so ähnlich. I like it.

 

Christine Grän
wurde in Graz geboren und lebte in Berlin, Bonn, Botswana und Hongkong, bevor sie nach München zog. Die gelernte Journalistin wurde durch ihre Anna-­Marx-Krimis bekannt, die auch verfilmt wurden. Sie veröffentlichte unter anderem die Romane „Die Hochstaplerin“, „Hurenkind“ und „Helden­sterben“, „Amerikaner schießen nicht auf Golfer“ und „Glück am Wörthersee“. Im Januar erschien im ars vivendi Verlag der neue Krimi „Glück in Wien“.

 

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