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HARZGLANZ

28. September 2021

Heimat

(Hei:mat) mehr als nur ein Wort

Wie oft wurde sie sehnsuchtsvoll beschrieben, besungen, gepriesen, beschworen, herbeigesehnt, betrauert und beweint, hochemotional wie auch nüchtern berechnend – die „Heimat“.

Mit diesem Wort, besser gesagt Begriff, verbindet sich in unserem Land eine lange, wechselvolle Geschichte. Nach dem Zweiten
Welkrieg durch den politischen Missbrauch einerseits diskreditiert, anderseits vor allem in den Fünfziger Jahren als Rückzugsort und Bild einer heilen Welt gesellschaftlich und medial vielfach bemüht, hat er vor etlichen Jahren allmählich wieder Einzug in unseren alltäglichen Sprachgebrauch erhalten. Er darf heute nach der Phase des ideologischen Missbrauchs als rehabilitiert gelten. Mehr noch: Manchmal kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er schon fast inflationär gebraucht wird, dabei leider häufig wenig reflektiert. Und Sprache verrät viel darüber, was eine Gesellschaft aktuell bewegt.

"Heimat - da hilft nur der Blick auf unser eigenes Empfinden."
Axel Richter

„Heimat“ – bei mir löst dieser so vertraute und zugleich auch immer wieder Fragen aufwerfende Begriff ein Stakkato an Gedanken und Gefühlen aus: „Verlorene Heimat“, „Kalte Heimat“, „Neue Heimat“, „Politische Heimat“, Heimat als Sehnsuchtsort, als Ort von Kindheitserinnerungen, als Rückzugsort, Heimat als physischer oder mentaler, für religiöse Menschen als „eigentliche, wahre Heimat“ auch als jenseitiger Ort, „Heimatliebe“, „Heimatpflege“, „Heimatkunde“, „Heimatschutz“; diese Aufzählung ließe sich beliebig fortsetzen. Sie verwirrt eher, als dass sie klärt. Auch die wissenschaftliche Definition hilft hier nur bedingt weiter. Sie zeigt zwar die vielfältigen Bezugs-ebenen dieses Begriffes auf, bleibt am Ende aber weich und offen in der Bedeutung für uns ganz persönlich. Wie also können wir „Heimat“ nun in ihrer Bedeutung für uns selbst besser fassen und in den Griff bekommen? Da hilft nur der Blick auf unser eigenes Empfinden.

Ganz unzweifelhaft steht „Heimat“ für eine Beziehung jedes und jeder Einzelnen von uns zu einem physischen oder mentalen Raum oder Ort, mit dem wir uns identifizieren und der wichtig war oder ist für die Entwicklung und Bestimmung unserer Identität. Und damit ist auch schon das Wesentliche über „Heimat“ gesagt: Die Heimat gibt es nicht, vielmehr definiert sich das, was wir als Unsere Heimat bezeichnen, für jede und jeden von uns ganz individuell – rational wie emotional. „Heimat“ in diesem Sinne verstanden, kann also Andere nie ausgrenzen, sondern sie ist ein ganz persönlich erworbenes Gut.

Allerdings teile ich die Ansicht, dass es – quasi als gemeinsamen Nenner – Faktoren gibt, die zur Herausbildung eines Heimatgefühls notwendig sind beziehungsweise dazu beitragen: enge menschliche Beziehungen, das Gefühl von Sicherheit und Vertrautheit mit dem Lebensraum, persönliche Anerkennung und Akzeptanz, zufriedenstellende Lebensbedingungen und -umstände, ein lebens- und liebenswertes soziales und kulturelles Umfeld. Aus alldem erwächst ein Gefühl und ein Bekenntnis zu einem Raum oder Ort im oben beschriebenen Sinne, zu dem wir stehen, in dem wir uns wohlfühlen und den wir nicht verlieren möchten. Oder um es biblisch-prosaisch zu sagen: Aus diesem Paradies möchten wir nicht vertrieben werden – auch wenn das nicht ausgeschlossen ist. Man kann seine Heimat sicher auch verlieren und keine neue Heimat finden. Man spricht dann bildlich sehr treffend von Entwurzelung.

Nun muss in dieser „Heimat“ nicht alles perfekt sein – und wird es naturgemäß auch nicht. Wer sich aber zu einer, zu Seiner Heimat bekennen kann und für den sie nicht nur ein Erinnerungsort ist, wird hochmotiviert sein, an ihr zu arbeiten und für Verbesserungen zu sorgen. Hier sehe ich einen engen Bezug zwischen dem Heimatbegriff und dem der „regionalen Identität“, der in den letzten Jahren mit programmatischem Charakter in der öffentlichen Diskussion zunehmend an Bedeutung gewinnt. Vielleicht begegnen sich hier individuelles Interesse und kollektives Interesse an einem authentischen, identitätsstiftenden, funktionierenden, liebens- und lebenswerten Wirtschafts- und Kulturraum, in dem man sich zuhause fühlt, zu dem man sich gern bekennt und an dessen positiver Weiterentwicklung man wenigstens Anteil nimmt, wenn nicht sogar sich aktiv beteiligt.

In diesem Sinne kann unsere Region mit ihren traditionsreichen Kommunen und ihren physischen wie geistigen Landschaften „Heimat“ sein, für die es sich lohnt, sich einzusetzen – ganz individuell, ganz unterschiedlich motiviert, integrierend, nicht ausgrenzend – Und das mit Sinn, Verstand und dem Herzen dabei, aber ohne jede Ideologisierung!

 

Axel Richter
Nach 26 Jahren im Amt ging der ge­schäfts­führende Vorstand der Braunschweigischen Stiftung Ende 2020 in vorzeitigen Ruhestand. Axel Richter war Gründungsgeschäftsführer der Stiftung. Seit den 1980er-Jahren ist er auch ehrenamtlich als Heimatpfleger tätig.

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