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HARZGLANZ

25. Juni 2021

Eintracht Braunschweig & VfL Wolfsburg - Nah und doch so fern

spiel eintracht heute

Zwischen Champions League und Liga 3

(Fotografie: AdobeStock_ jozefmicic, michalsanca, pixelliebe / Martin Wilk/Löwenrunde / Marc Stantien)

Gerade mal 25 Kilometer liegen laut Google Maps zwischen Braunschweig und Wolfsburg, doch in vielen Punkten könnten die beiden Städte nicht weiter voneinander entfernt liegen. Fußball ist einer dieser Punkte. Denn während sich die Magie rund um den Traditionsverein aus der Löwenstadt nahezu allein aus der einst glorreichen Vergangenheit speist, lebt der erheblich jüngere Nachbar aus der Autostadt in einer äußerst erfolgreichen Gegenwart und blickt obendrein in eine vielversprechende Zukunft in der Champions League. In Braunschweig hingegen stehen nach dem erneuten Abstieg in die 3. Liga alle Zeichen auf Neuanfang – schon wieder.

Davon ist man beim VfL in Wolfsburg meilenweit entfernt, erinnert sich aber womöglich noch dunkel an weniger glanzvolle Spielzeiten vor drei beziehungsweise vier Jahren, als die Wölfe den Abstieg in die Zweitklassigkeit zwei Jahre in Folge erst in der Relegation abwenden konnten. Einmal davon sogar im direkten Duell gegen Braunschweig. Doch seither wurden viele richtige Entscheidungen an der Aller getroffen. So ehrlich muss auch ich als gebürtiger Braunschweiger, mit einer gesunden Skepsis gegenüber dem Werksklub, sein.

Sieht man von den erheblich üppigeren Geldmitteln, die den Wolfsburgern im Vergleich zur Eintracht zur Verfügung stehen, einmal ab, ist der jüngste Erfolg vor allem an den handelnden Personen sowie ihren strukturellen Veränderungen festzumachen. Seitdem Michael Meeske 2018 die Geschäftsführung gemeinsam mit Jörg Schmadtke übernommen hat und den ehemaligen Publikumsliebling der Wölfe, Marcel Schäfer, der zwischen 2007 und 2017 mehr als 250 Spiele für den VfL bestritt, als Sportdirektor installierte, ging es sukzessive bergauf. Einem 7. Platz in 2019 folgte ein 6. Platz in der Spielzeit darauf und in dieser Saison Platz 4, der gleichbedeutend mit der direkten Qualifikation für die Champions League ist.

Die neuen Macher im Hintergrund nahmen Abstand von den Verpflichtungen ganz großer Namen wie einst die Draxlers, Schürles oder De Bruynes und den damit zusammenhängenden kostenintensiven Ablösesummen sowie Gehältern. Stattdessen nutzte Schmadtke sein ausgezeichnetes Netzwerk und zauberte ein Juwel nach dem anderen aus dem Hut, wie er es bei seinen vorigen Stationen in Köln und Hannover bereits erfolgreich machte. So fanden beispielsweise Wout Weghorst, Maxense Lacroix oder Ridle Baku, um nur ein paar zu nennen, den Weg zum VfL. Diese Spieler zeigten nicht nur hervorragende Leistung auf dem Platz, sie fügten sich auch neben dem Platz hervorragend ein – die Teamchemie schien zu stimmen.

Darüber hinaus entschied sich das neue Funktionärsteam – nach etlichen Trainerwechseln in kurzer Zeit – für Oliver Glasner als Headcoach. Er sollte sich als perfekte Ergänzung zum Führungsteam um Schmadtke, Schäfer und Meeske erweisen. Unaufgeregt, kompetent und kommunikationsstark. Das konnte er bei internen Probleme, die aufgrund seines Defensivkonzepts in der Mannschaft aufkamen ebenso unter Beweis stellen wie bei Meinungsverschiedenheiten mit Jörg Schmadtke in der Kaderplanung. Der ganz große Krach oder womöglich sogar Bruch wurde stets vermieden – ohne dass er sich oder seine Idee dabei vollends verraten hätten. Das imponierte wohl auch Eintracht Frankfurt, die sich die Dienste des Wolfsburger Erfolgscoaches ab der kommenden Saison gesichert haben. Dementsprechend mussten Keller, Schmadtke und Co. sich nun nach einem Ersatz für den scheidenden Glasner umschauen. Die Wahl fiel auf den Ex-Bayern-Spieler Mark van Bommel. Zwar blieb dem Niederländer der ganz große Erfolg als Trainer bislang verwehrt, gute Ansätze zeigte er bei seiner Arbeit für den niederländischen Erstligisten PSV Eindhoven aber in jedem Fall. So führte er den Klub in seiner ersten Saison als Headcoach zur Vizemeisterschaft. Im Jahr darauf folgte allerdings der Absturz, weil wichtige Leistungsträger den Rufen anderer Vereinen folgten.

Zumindest diese Gefahr scheint beim VfL Wolfsburg in der kommenden Saison für van Bommel nicht zu existieren. Denn der Kader soll dem Vernehmen nach – bis auf den heiß von RB Leipzig und Borussia Dortmund umworbenen Lacroix – im Kern zusammenbleiben und eher noch auf gewissen Schlüsselpositionen ergänzt werden. Denn für die Wölfe soll die kommende Champions-League-Teilnahme mehr zur Regel denn zur Ausnahme werden. Egal, wer an der Seitenlinie steht.

Sportlich hat sich seit dem Relegationsduell zwischen Eintracht und dem VfL vor vier Jahren so ziemlich alles gegensätzlich entwickelt.

Eintracht

Auch in Braunschweig gab es einen Wechsel an der Seitenlinie. Das war es dann aber auch mit den Parallelen zwischen den beiden Fußballklubs aus der Region. Denn sportlich hat sich seitdem Relegationsduell zwischen Eintracht und dem VfL vor vier Jahren so ziemlich alles gegensätzlich entwickelt. Während man in Wolfsburg mit Ruhe, Identifikation und Kontinuität auf die Krise reagierte, herrschte in Braunschweig nach dem Abstieg in die 3. Liga 2018 völliges Chaos und Aktionismus. So richtig viel hat sich daran bis heute nicht geändert – auch weil sich an den handelnden Personen im Hintergrund kaum etwas verändert hat. Das ist auch der Grund, weshalb der Ausflug in die 2. Liga vergangene Saison genau das geblieben ist; ein Ausflug und nicht mehr. Doch jetzt soll der große Neuanfang kommen. Und dieses Mal auch wirklich. Es sollen nicht dieselben Fehler wie nach dem Abstieg vor drei Jahren gemacht werden, heißt es.

Damals hieß der Trainer noch Torsten Lieberknecht. Bis heute genießt der Pfälzer in Teilen der Fanszene noch Legendenstatus. Kein Wunder, leitete er doch die erfolgreichste Ära bei Eintracht Braunschweig seit den 1970er-Jahren ein. Allerdings, und das gehört auch zur Wahrheit, führte er den Verein auch wieder dorthin zurück, wo er ihn gut zehn Jahre zuvor übernommen hatte. Weshalb ich Ihnen das erzähle? Weil der 47-Jährige zum Kandidatenkreis für die Nachfolge des entlassenen Eintracht-Coaches Daniel Meyer zählte. Meyer war erst im Sommer 2020 an die Hamburger Straße gekommen und weckte große Hoffnungen bei den Fans. Zwar hatte er mit seinem Engagement bei Erzgebirge Aue lediglich eine Stelle als Cheftrainer eines Bundesligisten vorzuweisen, hatte sich aber zuvor bei diversen Stationen im Nachwuchsbereich einen Namen gemacht und überzeugte durch starke Analysen und Fachkompetenz. In Braunschweig schaffte er es allerdings nicht, seine Ziele zu erreichen, was zu seiner vorzeitigen Freistellung führte. Seine Ideen und Ziele für die Eintracht formulierte er von Beginn an klar und unmissverständlich. Allerdings haperte es bei der Umsetzung. Zunächst hielt er zu lange am falschen Torwart fest, stellte in der Defensive zu spät auf eine Viererkette um, wechselte oft erst sehr spät im Spiel und traf teils kaum nachvollziehbare Nicht-Berücksichtigungen von einzelnen Spielern. Zudem wirkte die Mannschaft selten wie eine Einheit auf oder neben dem Platz. Das war zu den erfolgreichen Lieberknecht-Zeiten ganz anders. Da war die Mannschaft ein großer Freundeskreis.

Doch dafür ist Meyer nicht allein verantwortlich. Ganz im Gegenteil. Denn Peter Vollmann, seit 2018 Geschäftsführer Sport bei der Eintracht, hat Meyer sowie sein Konzept nicht nur zur Eintracht geholt, sondern auch den Kader gemeinsam mit ihm zusammengestellt. Die Versäumnisse gehen also auf das Konto von beiden. Doch bislang musste nur Meyer gehen. Ein Grund dafür, dass Vollmann trotz des Abstiegs sowie eines proklamierten Neuanfangs noch in Amt und Würden ist, dürfte die vorzeitige Vertragsverlängerung im Frühjahr 2021 gewesen sein. Der Vertrag wäre eigentlich im Sommer ausgelaufen, wurde aber – ohne Not – bis 2023 verlängert, obwohl Eintracht sich zu der Zeit mitten im Abstiegskampf befunden hatte und klar war, dass die misslungene Kaderplanung einen nicht unwesentlichen Anteil daran hatte. Damit wäre jetzt im Falle einer Kündigung von Vollmann wohl eine Abfindung fällig. Geld, das der Verein eigentlich nicht hat. Allerdings könnten zwei weitere Jahre Misswirtschaft unter dem 63-Jährigen den Verein am Ende noch weitaus teurer zu stehen kommen.

Peter Vollmann darf also offenbar tatsächlich auch in der nächsten Spielzeit bei der Eintracht wirken. Nicht jedoch ohne Unterstützung. So hat der Ex-Eintrachtprofi Dennis Kruppke, der zuvor für die Nachwuchsarbeit verantwortlich war, einen neuen Aufgabenbereich bekommen und soll Vollmann künftig beim Scouting sowie der Kaderplanung unter die Arme greifen. Wie sich diese Zusammenarbeit in der Praxis gestaltet, bleibt abzuwarten. Viel Zeit bleibt dem neuen Team allerdings nicht. Immerhin ein neuer Cheftrainer wurde nun vorgestellt: Letztendlich entschied sich die Eintracht-Geschäftsführung gegen ein Comeback von Torsten Lieberknecht und für ein neues Gesicht auf der Trainerbank: Michael Schiele unterschrieb einen Vertrag bis 2023. Die letzte Trainerstation des 43-Jährigen beim SV Sandhausen war zwar kurz und von wenig Erfolg gekrönt, aber dafür entwickelte er zuvor bei den Würzburger Kickers eine schlagkräftige Mannschaft, die am Ende den Aufstieg in die 2. Bundesliga realisierte.

Jetzt gilt es, den Kader für die neue Saison zu basteln. Das ist, in der Kürze der Zeit und bei so vielen Unklarheiten, ein ambitioniertes Unterfangen, das bereits 2018 nach dem Abstieg in die 3. Liga mächtig in die Hose ging. Damals veränderte sich der Kader nahezu komplett. Auch in diesem Jahr werden mindestens acht Spieler – tendenziell eher mehr – den Verein verlassen. Eintracht Braunschweig wird in der nächsten Spielzeit also definitiv ein anderes Gesicht haben. Bleibt für den geneigten Eintracht-Fan nur zu hoffen, dass das auch für die gezeigte Leistung auf dem Platz gilt und der Klub am Ende nicht wieder um den Klassenerhalt bangen muss.

Tobias Bosse

Mein Name ist Tobias Bosse, aber Sie können mich gerne Bosse nennen. Anders als mein deutlich populärerer Namensvetter verdiene ich meine Brötchen jedoch nicht mit Musik – da wäre wohl auch nichts zu holen für mich. Nein, ich bin Redakteur und zwar vornehmlich für Sport. Womöglich ist Ihnen meine Sport­talkshow „Löwenrunde“, die ich vor knapp sieben Jahren mit einem Partner ins Leben rief, bekannt. Anschließend absolvierte ich eine redaktionelle Ausbildung bei der Braunschweiger Zeitung, war als Reporter für die Zentralredaktion der Neuen Osnabrücker Zeitung unterwegs und schreibe heute für die DVZ – Deutsche Verkehrs-Zeitung.

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