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HARZGLANZ

15. Juni 2017

Die Große Transformation der Gesellschaft

-vom kleinen Matratzen-Start-up bis zum automobilen Weltkonzern

(Fotografie: fotolia/jedi-master)

Die Digitalisierung ist als Schlagwort allgegenwärtig und steht als Chiffre für einen großen Umbruch.

Der Wandel verläuft aber nicht ursächlich von „analog“ nach „digital“, sondern von einer industriellen Massengesellschaft zu einer Gesellschaftsform im Weltsystem, in dem Plattformen, Vernetzungen und unser kommunikatives Handeln immer wichtiger werden.

Im September 1988 übergab das VEB Carl Zeiss Jena an den Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, feierlich seinen ersten 1-Megabit-Chip, der 35 eng beschriebene Schreibmaschinen-Seiten speichern konnte. Die DDR galt auch im Westen als elftstärkste Industrienation („noch vor Portugal“) und wähnte sich auf einem guten Weg, den „Rückstand zur Weltspitze“ in der Mikroelektronik aufzuholen. Sträflich übersehen wurde die Notwendigkeit eines gesellschaftlichen Change Managements, um es einmal auf BWL-Deutsch zu sagen. Wie wir wissen, ein vergebliches Unterfangen. Im Oktober 1989 feierte die DDR noch unverdrossen ihren einen Monat später fiel die Berliner Mauer. Eine Disruption gewaltigen Ausmaßes, die ein Jahr später zur Deutschen Wiedervereinigung und zur Erosion der ganzen Weltordnung führte. Eine Re­volution, fürwahr.

Der 1-Megabit-Chip für 35 Schreibmaschinen-Seiten – es reichte nicht

Was lehrt uns dieser kleine historische Ausflug? Die Digitalisierung unserer Tage steht für eine tiefgreifende und umfassende Transformation der industriellen Massengesellschaft, die schon in den frühen 1970er-Jahren einsetzte: Kulturell, technologisch und wirtschaftlich. Wenn wir die Digitalisierung als bloße technische Veranstaltung oder als ein Viernull-Software-Update ansehen, um für die Weltmärkte gewappnet zu sein, übersehen wir diesen Wandel. Aber es gibt Hoffnung – oder Grund zur Besorgnis, je nach Sichtweise: Seit 2010 treiben die Nutzer und Unternehmen weltweit die zweite Halbzeit der Digitalen Transformation an. Die Veränderungskurve verläuft exponenziell.

3,77 Milliarden Menschen nutzen das Internet, das entspricht einem Anteil von 50 % der weltweiten Bevölkerung.

Die zweite Halbzeit der Digitalen Transformation

Nach dem ersten und zweiten Web erleben wir den Übergang zu einer Plattform-Ökonomie. Dafür stehen weltweite Unternehmen wie AirBnB, Alibaba, Uber oder Facebook. Es geht nicht mehr ausschließlich darum, Produkte zu verkaufen, sondern Ökosysteme für passgenaue Dienste anzubieten, die unser Leben und Arbeiten tatsächlich verbessern – und uns im besten Fall glücklich machen. In Plattformen und Vernetzungen zu denken und Geschäftsmodelle rund um die Bedürfnisse der Kunden zu entwickeln, ist die erste ökonomische Herausforderung für Unternehmen, vom kleinen Matratzen-Start-up bis zum automobilen Weltkonzern.

Das Web als „Dritter Ort“ für kommunikatives Handeln

Das Social Web hat sich seit 2010 zu einem neuen „Dritter Ort“ für gemeinsames Handeln entwickelt, zwischen Arbeit und Freizeit. Für immer mehr Menschen weltweit ist das Web kein Medium oder Vertriebskanal mehr, sondern tatsächlich ein Ort, der Anerkennung, Respekt und sogar Sinnstiftung verspricht, wie auch immer wir das bewerten wollen. Das gilt auch für die Unternehmen und ihre Mitarbeiter. Die Sätze „Facebook macht bei uns der Praktikant.“ oder „Die IT regelt das.“ sind überholt. Ein gutes Handeln im Social Web macht keine Arbeit, sondern ist selbst­verständ­licher Bestandteil der Arbeit geworden.

4,92 Milliarden einzelne Mobile-Nutzer, dies entspricht einem globalen Anteil von 66 %.

Es geht nicht um Medienkompetenz oder Marketing, sondern im Kern um Rollenkompetenz von Fach- und Führungskräften in den Unternehmen: Wie sprechen wir öffentlich, halböffentlich oder privat mit unseren Freunden und Kunden, wie können wir zusammen arbeiten? Das ist die zweite, soziologische Herausforderung.

„In Plattformen denken und Nutzer­bedürfnisse besser verstehen, Rollenkompetenz im Web stärken und kulturelle Veränderung angehen“

Als dritte Herausforderung sehen wir das kulturelle Change Management. Die Digitalisierung ändert unser Leben und Arbeiten. Unternehmen, Universitäten und andere Institutionen müssen die kulturelle Veränderung nicht proklamieren, sondern vorleben. Auch auf individueller Ebene. Diese drei großen Herausforderungen warten nicht auf uns, wir sollten sie gleichzeitig angehen. Erst machen wir Industrie 4.0, dann kümmern wir uns um unsere Ökosysteme und Vernetzungen und schließlich um das Change Management, dieses Denken in „Prozessketten“ verträgt sich nicht mit einem Gesellschaftsumbruch, der sich immer weiter beschleunigt.

Akzeptanz-Zeit der Gesellschaft für den Übergang von Seglern zu Dampfschiffen:
100 Jahre.

Erzählen wir Geschichten guten Gelingens

Kommen wir auf unser Eingangsbeispiel zurück: Wir wissen nicht, wann möglicherweise der nächste große revolutionäre Sprung ansteht, ob unser Geschäftsmodell die nächste Disruption übersteht, oder ob sogar die Mauer fällt. Vielleicht nächsten Monat oder nächstes Jahr, aber wir sollten darauf vorbereitet sein. Indem wir Veränderungen beherzt angehen, eine koope­rative Sichtweise einnehmen, uns mit den Nutzern und Kunden vernetzen, zusammen arbeiten und Geschichten des guten Gelingens erzählen. Dann wird eine Transformation der Gesellschaft wahrscheinlicher, die wir tatsächlich wollen.

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