Virus im Kopf

2020 hat es in sich und das Jahr hat immer noch Potential, im Geschichtsunterricht der Zukunft ein eigenes Schuljahr einzunehmen.

Nur zur Erinnerung: möglicher Krieg zwischen USA und Iran, Australien brennt, Großbritannien tritt aus der EU aus, an der türkisch-griechischen Grenze sterben Menschen, das Pentagon veröffentlicht Bilder von unbekannten Flugobjekten, weltweite Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus wegen des Mordes an George Floyd, die Corona-Pandemie erreicht die ganze Welt, Toilettenpapier wird zum Wertpapier, keine Europameisterschaft, Eintracht Braunschweig steigt in die zweite Fußball-Bundesliga auf, in Beirut explodiert die halbe Stadt - das einzige normale bisher: Bayern München wird Deutscher Meister.

2020 ist ein Jahr, in dem Krisen keine Ausnahme, sondern die Regel darstellen. Es ist ein Jahr, in dem Menschen noch mehr als sonst nach Antworten suchen, um in einer komplexen Zeit den Durchblick zu behalten oder zumindest Erklärungen zu finden.

Die Corona-Pandemie bestimmt unseren Alltag. Ohne Frage ist das Leben von Millionen Menschen auf den Kopf gestellt: Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit, Pleiten.

Die Maßnahmen gegen das Virus sind die größte Beschränkung der Grundrechte seit Bestehen der Bundesrepublik. Das ist krass.

Geklickt, gelikt, geteilt.

Covid-19 ist allgegenwärtig, die öffentliche Diskussion verläuft sich allerdings oftmals in alles in Frage stellende Theorien, die einen Diskurs erschweren, was mitunter bedeutet:

Verschwörungstheorien verbreiten sich zurzeit noch schneller als das Virus selbst.

Sie erfahren besonderen Auftrieb. Weil sie vermeintlich versprechen, mit einfachen Erklärungen den Dschungel von Informationen lichten zu können, weil es simpler und möglicherweise auch plausibler erscheint, einem Narrativ zu folgen, das den oder die Schuldigen kennt.

Oh, wie schön ist Pandemie - Janosch

Pandemien gab es schon viele, aber nie in einer derart vernetzten Welt. Bedeutet: Es gibt einen unglaublichen Strom von Informationen - und Falschmeldungen. Es gibt also Menschen, die glauben, dass Covid-19 nicht gefährlicher als eine gewöhnliche Grippe sei oder es das Coronavirus überhaupt nicht gebe. Dass die Politik, sogenannte Eliten aus Wirtschaft und Stars, unterstützt von Medien, absichtlich Panik schürten, um die Grundrechte der Bevölkerung dauerhaft einzuschränken, eine umfassende Impfpflicht einzuführen oder eine neue Weltordnung zu etablieren.

Nur Bilderberger im Kopf?

NSU, Bilderberg-Treffen, Area 51, Bielefeld. Da gibt es Ungereimtheiten und Fragen und somit Stoff für krude Gedanken. Menschen mögen keine Ungewissheit, wir wollen wissen, was passiert und warum.

Zurzeit prasselt alles auf uns ein, vor allem im Internet. Prominente und auch weniger Prominente nutzen soziale Medien, um über ihre Theorien zu berichten - und genau hier endet die Einleitung mit möglichst viel Neutralität und es erschöpfen sich auch die Kapazitäten dieses zu lobenden Magazins.

Demokratie und eine (weitestgehend) freie Gesellschaft müssen immer wieder aufs Neue verteidigt werden. Errungenschaften dieser Demokratie zu hinterfragen gehört auch dazu. Dieser Tage überschreitet (berechtigte oder unberechtigte) Kritik allerdings zusehends Diskurs- und Rationalitäts-Grenzen und wir nähern uns dem Virus im Kopf, der Gedanken infiziert, zunehmend an.

Besser gates nicht?

Boomer ohne jegliche Medienkompetenz bestimmen und vergiften die Kommentarspalten in sozialen Medien - es entstehen offen Achsen aus besorgten Bürgern, Impfgegnern, Esoterikern, Reichsbürgern, der Friedensbewegung, Linken, Rechtsextremen. Die Mischung ist kurios.

Den Demonstrierenden der letzten Wochen geht es aber nicht nur um eine Aufhebung der Corona-Beschränkungen – sie sind eine Mischung aus Leuten, die glauben, das Bill Gates uns alle zwangsweise impfen und uns Micro-Chips implantieren möchte, dass „Eliten“ bestehend aus Personen wie Hillary Clinton oder Tom Hanks, pädophile Eliten, unterirdische Bunker betreiben, in denen Kinder missbraucht werden und Adrenochrom abgezapft wird (was angeblich verjüngend wirken soll) und anderen Bullshit glauben, aber die Existenz eines Virus anzweifeln und sich durch das Tragen von Mund-Nase-Schutzmasken in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen.

Natürlich ist etwa das Tragen von Gesichtsmasken nervig, aber ich etwa habe lieber zeitweise ein Stück Stoff im Gesicht als langfristig einen Zettel am großen Zeh.

Wer über eine rote Ampel fährt, kann sich nicht auf seine Freiheitsrechte berufen. Eine rote Ampel zu überfahren ist nicht verboten, weil es der Regierung so gefällt, sondern weil es Menschenleben gefährdete, würde man es einfach tun.

Vier Hochzeiten und ein Corona-Fall?

Meinungsfreiheit ist eines der höchsten und schützenwertesten Güter dieses Landes. Die Freiheit endet aber da, wo die eines anderen beginnt. Meinungsfreiheit bedeutet, dass jeder seine Meinung sagen darf, aber jeder Andere verlauten lassen kann, diese scheiße zu finden.

Das Tragen einer Maske schützt dich vielleich nicht, aber alle anderen vor Dir.

Das Impfperium schlägt zurück.

Die Anti-Corona-Bewegung nennt sich „Querdenken“. Nach den Ereignissen und Demonstrationen der vergangenen Wochen steht wohl leider fest, dass diese Bewegung keine Ansammlung von harmlosen Spinnern ist, sondern aus mitunter teilweise gefährlichen Fanatikern besteht, denen die Gesundheit und das Allgemeinwohl der Anderen egal ist. Sie geben vor, für demokratische Grundrechte einzustehen, haben sich jedoch aus dem Diskurs verabschiedet.

Attila, der Dummenkönig.

Viel zu lange hat man die Querdenker-Bewegung und Typen wie Ex-Koch Attila Hiltmann gewähren lassen, obwohl aus diesen Reihen Mord- und Vernichtungsfantasien öffentlich geäußert wurden.

Neben breiter Aufklärung brauchen wir ein entschiedenes Vorgehen gegen Fake-News, Volksverhetzung und Bedrohungen. Menschen, die Sorgen haben, zuzuhören ist wichtig - leider gibt es aber eine nicht kleine Zahl, die wir als Gesellschaft nicht mehr erreichen können, die resistent gegen Fakten sind und darauf beharren, dass nichts ist, wie es scheint. Dass hinter jedem Ereignis in der Welt ein Plan einer Macht im Verborgenen steckt, sie deswegen eventuell unfair behandelt werden.

Im Klartext: In Minsk wird gegen einen Diktator demonstriert, in Portland gegen Polizeigewalt und in Deutschland gegen eine ansteckende Krankheit.

Steht im Internet, muss also stimmen.

Demokratie lebt von Diskussion - zumindest im Netz ist aber die Diskussionskultur oftmals verloren gegangen. Wir brauchen eine verstärkte Vermittlung von Medienkompetenz - am besten für alle Altersgruppen. Wir müssen Strategien entwickeln und lehren, wie Fake News und Verschwörungstheorien entlarvt werden können. Wir brauchen einen Diskurs über Grenzen der Meinungsfreiheit: Würden Sie auf einer Demo neben Nazis, die Nazi-Symbole tragen, mitlaufen? Ich nicht. Sollten Demonstrierende, die offen sagen, dass man in Deutschland nichts mehr offen sagen darf, und Journalisten offen sagen, dass sie nichts mehr offen sagen dürfen, ihre Wahrnehmung hinterfragen? Ich denke schon. Dürfen diese Menschen ihre Meinung auf die Straße tragen? Dürfen sie. Allerdings können sie das auch unter Einhaltung der Abstandsregeln und mit MNS, wenn das nicht der Fall sein sollte, kann die Demonstration aufgelöst werden - und zwar wegen eines anderen hohen Gut, neben der Meinungsfreiheit: dem Recht auf körperliche Unversehrtheit.

Was sind schon ein paar Tausend die gegen Corona-Maßnahmen demonstrieren, gegen die vielen Millionen Gegendemonstranten zu Hause auf der Couch?

Selbstverständlich ist nicht jeder Demonstrierende ein Corona-Leugner, viele leugnen „nur“, dass es sich um eine Pandemie handele - und ich stelle die These auf, dass es dieselben sind, die vor Monaten die Klopapier- und Nudelregale leergekauft haben. Zumindest teilweise.

Die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung der Coronavirus nerven. Ohne Frage.

Woher kommt das Virus? Unklar. Stoff für Verschwörungen.

Klar ist, wir erleben eine absolute Ausnahme-Situation und wir erleben sie alle zum ersten Mal.

Da passieren Experten, der Politik, Behörden Fehler. Das heißt aber nicht, dass deswegen geheime Mächte versuchen, die Welt zu versklaven - und genau das ist das Virus im Kopf.

Das Virus im Kopf, das Menschen dazu bringt zu meinen, „aufgewacht“ zu sein, während alle Anderen „Schlafschafe“ seien.

Hinterfragen: ja. Aber die einfachste Antwort ist deswegen noch lange nicht richtig.