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HARZGLANZ

8. Oktober 2021

Wolfsburg wäre ohne uns heute wohl ganz anders

Ein ambivalentes Verhältnis zum Thema Heimat

Was gibt die Region einem Grafen preußischen Adelsgeschlechts, der leidenschaftlicher Kunst- und Kulturliebhaber ist und als ältester von drei Brüdern den Familien­besitz übernommen hat? Und was bewirkt er in seiner Heimat Wolfsburg? Günther Graf von der Schulenburg hat uns in den Verlagsräumen der mediaworld besucht und über seine Familien­geschichte, seinen Kompass im Leben und die Zukunft gesprochen.

Günther Graf von der Schulenburg-Wolfsburg sitzt mit der Verwaltung seines Betriebes auf dem Rittergut Nordsteimke nahe des Stadtzentrums Wolfsburg. Er kann nicht mal eben seine Sachen packen und sein Unternehmen an einen anderen Standort verlagern, denn die Schulenburgs betreiben Forstwirtschaft und einen größeren landwirtschaftlichen Betrieb. „Mein Eigentum sind unter anderem historische Gebäude, die ich selbst mit weiterentwickelt habe, und land- und forstwirtschaftliches Eigentum. “Eigentum bedeutet ihm auch Bindung, in diesem Fall an den Familienbesitz. „Es ist Identität, die bei uns über Generationen hinweg getragen wurde.“ Wo würde er leben, wenn er es sich aussuchen könnte? „Früher hätte ich gesagt München, heute würde ich sagen Berlin. Die Vielfältigkeit in der Gesellschaft und in der Kultur gefallen mir sehr. Mir sind Momente dort mit Georg Baselitz, Douglas Gordon und anderen Künstlern in wunderbarer Erinnerung. Ich mag dieses Ehrliche in Berlin und die Berliner Schnauze.“

Trotz ein wenig Fernweh ist der 56-Jährige, nachdem er einige Zeit in Bayern im Internat und in Frankfurt studiert hat, wieder in die Heimat zurückgekehrt. In der Familie war relativ klar, dass er als ältester von drei Söhnen den Familienbetrieb übernehmen wird. Seine Brüder haben andere Wege gewählt – einer ist als Designer in London tätig und der andere hat sich im Bereich Sportmarketing in München selbständig gemacht. Trotzdem beruht die Übernahme des Familienbetriebs für ihn nicht auf Zwang. „Ich bin sehr privilegiert mit dem, was ich tun darf und damit gehe ich verantwortungsvoll um. Es ist nicht selbstverständlich, die Chance zu bekommen, einen Betrieb wie unseren zu übernehmen und das habe ich meinen Eltern damals auch gesagt. Die waren phasenweise ganz anderer Meinung. Ich bin jedenfalls sehr glücklich mit dem, was ich mache und würde nicht tauschen wollen“.

Fortschritt und Tradition

Mit traditionellen Gefügen verbinden manche eher Stillstand als Fortschritt. Dem Adel werden oft Werte wie Rückwärtsgewandtheit zugeschrieben, für den Wolfsburger bedeutet Stillstand Rückschritt: „Das ist etwas, wofür mich meine Kinder verfluchen, aber ich sage es immer wieder wie schon Fürst Giuseppe Tomasi di Lampedusa: „Alles muss sich ändern, damit alles so bleibt, wie es ist!" Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Alles ändert sich, aber am Ende ist die Identität immer wieder nachvollziehbar und wir geben unsere Herkunft nicht auf. Wir wissen, wo wir herkommen und wo wir hingehören."

Seine Familie hat jedoch ein ambivalentes Verhältnis zum Thema Heimat. Die Nationalsozialisten ließen ihr keine Wahl, als ihr Land zu verkaufen. Zu attraktiv waren die Ländereien für das geplante Autowerk: dicht bei einem Stahlwerk, mit guter Verkehrsanbindung über den Mittellandkanal an die Ruhrkohle und bis nach Berlin und vor allem zusammenhängend und groß genug. Vermutlich wäre das Volkswagenwerk nicht oder nicht in Wolfsburg errichtet worden, hätte es diesen Landbesitz nicht gegeben. Die Familie baute 40 Kilometer östlich einen neuen Familiensitz auf, um 1945 zu erkennen, dass auch die Sowjets als neue Machthaber im Osten ihr Eigentum nicht respektieren würden. Sie gingen also gezwungenermaßen zurück nach Nordsteimke und haben dort in kurzer Zeit ein zweites Mal neu angefangen.

Mittlerweile hat sich in der Region viel getan, was auch der Graf zu schätzen weiß. In einigen Bereichen sieht er jedoch noch Entwicklungsmöglichkeiten. „Die Region als Wissenschaftsstandort hat einiges zu bieten, Braunschweig verfügt in diesem Bereich über hohe Kompetenzen. Was Kultureinrichtungen angeht, ist noch etwas „Luft nach oben“ finde ich. Wir brauchen ein Konzerthaus mit Charakter in Braunschweig, darüber reden wir hier schon lange und dafür setze ich mich ein. Wir haben hier viele ‚Hidden Champions‘, die man noch sichtbarer machen könnte.“

Doch Handeln ist ihm wichtiger als reden: Als Kulturliebhaber holte er 15 Jahre lang mit dem Festival „Soli Deo Gloria“ Weltstars der klassischen Musik nach Wolfsburg in das Braunschweiger Land. Außerdem ist er in den Bereichen der Förderung von Artenvielfalt, verbandspolitischem Engagement, Eigentumssicherung und erneuerbaren Energien tätig.

Die Mischung macht’s

Dieses Engagement basiert auf der Lebensphilosophie des überzeugten Unternehmers. „Wichtig ist, sich selbst gut einschätzen zu können, egal was man tut. Wo kann ich sinnvoll etwas beitragen? Stimmt das mit meinem Lebensstil und meinem Bild vom Leben überein?“

Auf welche Art und Weise man seine Ziele verfolgt, ist natürlich jedem selbst überlassen. Der ehemalige Oberbürgermeister Hoffmann beispielsweise hat dem Grafen immer gut gefallen, da er sich von niemandem beirren lassen und seine Visionen unbeirrt und sehr konsequent durchgesetzt habe. Die Art, wie der Unternehmer seinen circa 20-Mann-Betrieb führt, sieht anders aus: „Meine Türen stehen immer offen. Für die meisten bin ich nicht Herr Graf von der Schulenburg, sondern Graf Günther. Wir ziehen bei der Jagd gemeinsam durch die Büsche und trinken hinterher ein Bier zusammen. Ich kann zwar auf den Putz hauen, hat aber eine sehr teamorientierte Ader.“ Seine Ausbildung bei der Bundeswehr habe ihn in seiner Art und Weise mit Menschen umzugehen sehr geprägt. Er hat Befehl und Gehorsam als Untergebener gelernt, später dann auch selbst Kommandos gegeben. „Als Führungskraft ist es nicht immer leicht, eine gute Mischung aus Bitten und Anweisungen erteilen zu finden, dabei war mir die Bundeswehr ein guter Kompass.“

Ein Kompass sind für den Grafen auch Menschen in seinem Umfeld, die eine klare Meinung haben und ihm diese auch mitteilen, wie seine Frau und die zwei gemeinsamen Kinder. Der 19-jährige Sohn soll später einmal den Betrieb übernehmen. Davor, die Zügel aus der Hand zu geben, hat er schon jetzt Respekt. „Das Loslassen ist auch eine Aufgabe, der sich schon meine Eltern stellen mussten und die auch auf mich zukommen wird. Loslassen ist meine größte Herausforderung, der ich mich aber in 10 bis 12 Jahren konsequent stellen werde“. Bis dahin ist allerdings noch etwas Zeit und er möchte weiterhin einen Beitrag für die Region leisten. Die Aufgabe der Region sieht er darin, Orte zu schaffen, die einem zunehmend internationalen Standard gerecht werden. Der Wettbewerb um die hellsten Köpfe werde härter und jede Stadt sei gut beraten, sich für diese attraktiv zu machen. Deshalb setzt er sich vor allem für eine Auffrischung von Wolfsburgs Innenstadt und für bezahlbaren Wohnraum ein.

Wir hoffen, dass er weiterhin so leidenschaftlich für das brennt, was er tut und sind gespannt, was er in unserer Glanzregion noch bewirken wird.

Dr. Jan Plöger

Dr. Jan Plöger wurde in Franken geboren, hat in Hannover studiert und in München gearbeitet, bevor er sich vor 12 Jahren für Braunschweig entschied.

Timo Grän

Herausgeber des Stadtglanz und der Service-Seiten. Verbrachte seine ersten Lebensjahre in Sambia und Botswana, bevor er Kind dieser Region wurde. Seitdem ein Förderer des Regionspatriotismus.

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