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HARZGLANZ

1. Dezember 2016

Casual Food

Die neue Art des feinen Dinierens

(Fotografie: Palida Boonyarungsrit, Steve Lee)

Es hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass London eine Hauptstadt für kulinarisch Interessierte ist. Die Vielfalt ist überwältigend: peruanisch, vietnamesisch, südafrikanisch, israelisch, koreanisch, japanisch, karibisch… nicht zu vergessen all die Spitzen-Burgerbrater, authentischen Pizzerien und Rund-um-die-Uhr-Diners. Michelin-Sterne werden in London nicht nur für klassische französische Küche vergeben. Es gibt sogar eine Lokalität, dessen Spezialität essbare Insekten sind!

Eine der heißesten Adressen ist die Charlotte Street, dicht gepackt mit Restaurants, die um Kunden werben. Nördlich der Oxford Street und westlich der Tottenham Court Road gelegen hat dieser Block auch seine eigenen Webseiten, auf der jeder Gast die Speisekarten studieren kann, bevor er sich auf den Weg macht.

Kürzlich war ich im VAGABOND, einer Selbstbedienungs-­Weinbar. Jeder kann dort so lange alle möglichen Weine verkosten, bis er den richtigen gefunden hat. Genau gegenüber ist das BARNYARD, das weniger teure und noch entspanntere Schwester-Restaurant von DABBOUS, über das ich im letzten Stadtglanz berichtet habe. Hier kreiert der Küchenchef Dabbous unprätentiöse Gerichte zu fairen Preisen und man sollte dort allein schon wegen seiner Bier-Cocktails (ja, so etwas gibt es hier) vorbeischauen.

Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Pied à Terre ist das vermutlich bekannteste Restaurant in der Charlotte Street und bietet neben feinen Speisen einen erstklassigen Service und eine eindrucksvolle Weinkarte. Am vollsten ist es aber im Newcomer, dem The Ninth von Jun Tanaka.

Jun wurde von Marco Pierre White ausgebildet, der als jüngster Koch mit drei Sternen dekoriert wurde und sich damit berühmt (oder berüchtigt) machte, als er diese postwendend zurückgab. Weitere Lehrmeister waren Phil Howard und die Gebrüder Roux – was für eine kulinarische Vita! Jun war Küchenchef bei Pearl, bevor er in seinem neunten Restaurant, seinem eigenen, arbeitete – daher der Name! Zu Juns Überraschung bekam The Ninth bereits dieses Jahr einen Michelin-Stern.

Jun ist zwar auch im britischen Fernsehen ein bekanntes Gesicht, am wohlsten fühlt er sich aber in der Küche. Jun ist ein Kind japanischer Eltern, aber er ist in England aufgewachsen und so serviert er keine japanische Küche, sondern eine moderne Mischung mit mediterranen Einflüssen und ungewöhnlichen Zutaten, die er mit Finesse und Disziplin verarbeitet. Seine Tortellini Ossobuco mit Knochenmark gehören zurzeit zu den feinsten Gerichten Londons – seidige Paste, die um langsam geschmortes Fleisch geschlungen ist und im Mund förmlich schmilzt… und die ich dreimal täglich essen könnte. Zum Pasta-Thema gibt es ein Himmelreich auf einem Teller: Eine Hasenconfit-Lasagne mit Senf-Béchamelsoße aus dünnen Pastablättern und zartem Hasenfleisch.

In seiner „Raw and Cured Section” serviert er unkonventionell zubereiteten Fisch auf eine elegante und unverwechselbare Weise. Die Schwertmuschel-Ceviche ist nur ein Happen, aber ein wunderbares Ensemble an Aromen, die die delikate Muschel nicht verdecken. Ob im ganzen gebratener Fisch oder auf Holzkohle gegrilltes Iberico-Fleisch: die größeren Gerichte sind ihren Preis zwischen 21 und 24 Pfund wert.

Auch die Beilagen erfahren Aufmerksamkeit. Ob gebutterte Bohnen oder geröstetes Gemüse, Jun hat eine lange Liste durchdachter Beilagen, auf der auch eine Tarte Tatin aus Roter Beete mit Feta und Pinienkernen ist, die der klassischerweise süßen Tarte eine Gewürz­behandlung gegeben hat. Seine grünen Bohnen bekommen statt Butter ein Tahini-Dressing. Seine Desserts sind eindeutig französisch inspiriert.

Jun kocht ungewöhnlich, mit Fantasie und Flair, aber nicht übertrieben komplex. Ich habe dort nur Außergewöhnliches gegessen und esse jetzt viele kleine Gerichte, während ich an der Bar sitze und mich ein wenig mit dem Barkeeper unterhalte. Sein Restaurant ist ein ungezwungener Ort, an dem Jeans so willkommen sind wie ein Abendkleid und an dem ein Glas Wein nicht das Budget sprengt. Jun möchte, dass sich seinen Gästen Gemütlichkeit bietet und das Gefühl gegeben wird, umsorgt zu werden. Seine freundliche Art hat sich auch auf sein Team übertragen – es scheint ein angenehmer Ort des Arbeitens zu sein.

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