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HARZGLANZ

3. Juni 2019

Immer der Zunge nach

Einmal um die Welt essen

(Fotografie: fotolia/Mara Zemgaliete, Barbara Pheby)

Es gibt doch keinen besseren Ort als die Küche, um die Menschheit in ihrer Vielfalt aktiv tätig zu feiern. Essen ist ein großartiger Kommunikator, denn schließlich müssen wir alle essen – zumindest darin sind wir uns einig. Die verschiedenen Kulturen haben ganz unterschiedliche kulinarische Gewohnheiten hervor­gebracht und viele Religionen haben Ess-Vorschriften, die sowohl aus der Tradition als auch aus purer Notwendigkeit heraus entstanden sind. Wie kann man also ein neues Land, seine Geschichte und Kultur besser kennenlernen als durch sein Essen? Man könnte sogar den Grad der Infiltration anderer Kulturen daran festmachen, wie groß der Anteil an Essen aus anderen Ländern ist. Ein Beispiel könnte die Verbreitung von McDonald’s in der ganzen Welt sein. Es ist irgendwie auch eine Art der Invasion.

Als Londonerin habe ich eine enorme Auswahl an unterschiedlichsten Speisen und Küchentraditionen. Ich schätze mich dafür überaus glücklich, denn würde ich beispielsweise in Rom leben, würde ich vielleicht überwiegend italienische Gerichte essen (die übrigens meistens großartig sind!). Hier kann ich mich in einer Woche einmal um die Welt essen: indisches Curry am Montag, mexikanisches Tacos am Dienstag, japanische Sushi am Mittwoch, amerikanische Burger am Donnerstag, chinesisches Essen am Freitag, italienische Pizza am Samstag und am Sonntag ein original britisches Roast Lamb. Für einen Londoner wäre das ziemlich normal.
Vor kurzem war ich aus, um eines meiner Londoner Lieblings-­gerichte zu essen: Hühnchen-Kebab mit Fladenbrot, Salat und Hummus in einem türkischen Restaurant um die Ecke.

Wir begannen mit gegrillten Auberginenscheiben mit mild gerösteten Tomaten und einem Schuss kühlem Labneh (libanesischem Frischkäse). Mit Paprikapulver bestäubte frittierte Kalamari wurden mit saftigen Zitronenschnitzen und getrockneten Oliven serviert. Es war ausgesprochen köstlich und die Anklänge von griechischem und nah-östlichem Essen in dem türkischen Gericht erschienen mir ironisch, wenn man bedenkt, wie gut das alles zusammenpasste und einander ergänzte. Und das vor dem Hintergrund der Geschichte der Türkei, Griechenlands und der Länder im Nahen Osten. Auf dem Teller war es Harmonie …!

Wenn ich über das Wort Vielfalt nachdenke und mich frage, wie es auf das Essen angewendet werden kann, fällt mir nur ein, wie sehr wir die Essenstraditionen der Welt heutzutage genießen können und dass zugleich viele Menschen gegen Einwanderung und die Integration von Menschen fremder Länder sind. Das klingt für mich etwas nach Heuchelei.

Ganz anders als mein Eindruck beim türkischen Menü war mein Eindruck der chinesischen Küche bei einem Hongkong-­Besuch. Die Fischmärkte waren voller Überraschungen durch Meeresfrüchte, die ich noch nie gesehen hatte. Man isst dort ALLES, ich habe sogar einige warzenbedeckte Kröten zum Verzehr angeboten gesehen. Frittierte Hühnerfüße sind Delikatessen, die man in Pommes-Tüten kaufen kann. Ich habe es nicht geschafft, sie zu probieren. Bei der radikal anderen Art des Essens fühlte ich mich als Außenseiter, der ich ja auch bin, und für mich war es ein Beispiel, wie sehr Essen abstoßen und unsere Unterschiede hervorheben kann. Das gewöhnungsbedürftige Essen machte China für mich noch exotischer.

Ostern war ich in Bali, habe aber nur zweimal indonesisch gegessen. Ich habe mich nicht bewusst davon ferngehalten, aber es war aus dem Straßenbild weitgehend verschwunden und nur noch in eher dubiosen Lokalen, den „Warengs“ zu finden. Starbucks und Burger King sind dort präsent und es gab viele Restaurants für Burger, Pizza und Sushi. Es ist das typische Beispiel, wie sich das Essen weltweit homogenisiert. Als ich letzten Sommer in Barcelona war, wurde ich vor dem Flughafen von Costa Coffee and Pret A Manger begrüßt. Wie enttäuschend! Bis auf ein paar Zugeständnisse an den lokalen Geschmack bieten die globalen Ketten weltweit das Gleiche. Null Vielfalt.

Wo ist da der Reiz?

Vermutlich bekomme ich in Londons Soho fast so gute gedünstete Bao-Brötchen wie in Korea. Das ist schon klasse. Aber was isst man in Korea? Ob Starbucks und McDonald’s dort auch schon die Bäuche füllen? Ich habe noch nicht nachgesehen … Der langsame Niedergang der Vielfalt der Speisen in der ganzen Welt wird durch den Massenmarkt der Burger-, Pizzen- und Sandwich-Läden verursacht, die langsam aber sicher die Geschmacksknospen vor Ort erobern. Welch eine Tragödie. Ich glaube nicht, dass traditionelle Gerichte aussterben, aber es wird schwerer, ein authentisches kulinarisches Erlebnis zu erleben. Wie schade. Vor ungefähr 25 Jahrenwar ich drei Monate lang mit dem Rucksack in Thailand unterwegs, habe nur Thai gegessen und mich mit Gräuel an Koriander gewöhnt (er hat gesiegt, jetzt liebe ich ihn). Aber es war ein Teil der Unerbittlichkeit des Reisens, dass man nur inländisch aß und das ein bisschen „erdulden“ musste. Vorbei! Ich bin sicher, ich könnte heute überall in Bangkok Sojamilch-­Mocaccino mit doppelt Zimt und Schinken-Käse-­Panini bekommen.

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