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HARZGLANZ

1. Dezember 2017

Ein Interview mit Kristina Günak

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Baustellenhunde & Herzblut wird mit H geschrieben

(Fotografie: Andreas Rudolph)

Der Initialschuss

Susi Marggraf: Frau Günak, wie sind Sie zum Schreiben gekommen? Oder hat das Schreiben Sie gefunden?

Kristina Günak: Die Frage wurde mir schon oft gestellt, es gibt leider immer noch keine wirkliche Antwort. Es ist einfach so passiert. Geschichten habe ich mir schon immer ausgedacht und doch tatsächlich lange Zeit angenommen, das sei normal. Dann bin ich Mutter geworden, habe aufgehört, Immobilien zu verkaufen und es war mir spontan ein Bedürfnis, das Mutterwerden literarisch zu verarbeiten. So habe ich angefangen zu schreiben und bis heute einfach nicht mehr damit aufgehört.

Roman

Susi Marggraf: Zu Ihren Buchveröffentlichungen gehört ein Repertoire von Love & Thrill, die Hexenreihe „Eli Brevent“ und etliche Liebesromane. Haben Sie ein Genre, dass Sie reizen würde? Bitte ein „Blitzlicht“: Was würden Sie tun, wenn Sie sich an ein Neues Genre herantrauen würden?

Kristina Günak: Schreibend herantasten. Den Faden finden, aufnehmen, spüren, weitermachen. Bestenfalls ganz ohne Druck, also ohne Abgabetermin. Ich habe in diesem Jahr einen recht abenteuerlichen Fantasyroman veröffentlich. Das war Neuland. Und dazu gleich noch einen zeitgenössischen Roman mit einem völlig neuen Thema geschrieben, der im März 2018 im Diana Verlag erscheinen wird. Das war gleich zwei Mal Neuland, zwei Mal hat der andere Tonfall, das neue Thema gut funktioniert. Vielleicht hat es bei mir mit Sicherheit zu tun. Ich bin sicher in meiner natürlichen Schreibumgebung, also kann ich anfangen, die Grenzen zu verschieben und Kapriolen zu schlagen. Ein neuer Stoff bedeutet auch immer eine neue Herausforderung.

Der Antrieb

Susi Marggraf: Frau Günak, wo liegt für Sie der größte Gewinn im Schreiben? Sie schreiben mit Herzblut, wie entfachen Sie immer wieder das Feuer?

Kristina Günak: Da muss ich nichts entfachen. Das tut das Thema. Es brennt und lodert und zwingt mich an den Schreibtisch. Viel schwieriger ist es, das brennende Etwas in mir zwischendurch einzudämmen und Dinge zu tun, die Menschen tun müssen. Sprechen, Einkaufen, mit dem Hund rausgehen und mit dem Kind Mathe üben. Das sind die wahren Herausforderungen meines Lebens, schließlich schreibe ich drei bis vier Bücher im Jahr. Schreiben besteht bei mir zu 20 % aus Spaß, 20 % aus Tränen, 20 % aus Haareraufen und 50 % aus harter Arbeit. Das sind insgesamt also 110 %, was ziemlich viel ist und am Ende eines Buches sinke ich ermattet über meiner Tastatur zusammen und schwöre mir – nie wieder! Um dann zwei Tage später mit dem nächsten Schreibprojekt zu beginnen. Ich bin offenbar süchtig. Was vielleicht daran liegt, dass die Welt voller Ideen ist. Das ist nicht nur ein Gewinn, das ist Leidenschaft pur.

„Chronisch, menschlich, unvollkommen“

Susi Marggraf: Stark, humorvoll, verletzlich, kreativ, „zu den eigenen Schwächen stehen“, einfach liebenswert. Könnten man mit diesen Attributen Ihre Hauptfiguren aus dem im Frühjahr erschienen Roman „Wer weiß schon, wie man Liebe schreibt?“ nachzeichnen? Ihre Protagonisten sind alles andere als perfektionistisch, Sie fühlen sich sehr nahbar an … Was ist die Krux an dem Streben, „es perfekt machen zu wollen“ und wo liegt die Chance der Unvollkommenheit: „Chronisch, menschlich, unvollkommen?“

Kristina Günak: Es ist mir ein Anliegen, unperfekte (das Wort hat es leider bisher noch nicht in den Duden geschafft) Charaktere zu schaffen, die viel Raum zur Identifikation bieten. Weil wir alle unfassbar unvollkommen sind und doch viel Energie aufbringen, diese Tatsache zu verschleiern. Wir tun nicht nur perfekt, wir sind auch noch umgeben von scheinbarer Perfektion. Mich erschreckt das zuweilen. Die perfekten Klamotten, das perfekte Kind, die mit dem richtigen Filter perfekt in Szene gesetzte Persönlichkeit bei Instagram. Um uns wirklich zu begegnen, brauchen wir aber Wahrhaftigkeit. Mir kommt das Streben nach Perfektion manchmal wie eine reflexhafte Überanpassung an die vermeintlichen Anforderungen unserer Gesellschaft vor. Und ich halte es für sehr gefährlich, weil es nicht endet. Es gibt kein Ziel, das erreicht wird, sondern das Ziel bewegt sich stetig weiter auf der Leiter nach oben. Klingt anstrengend.Ist es vermutlich auch, denn der äußere Erfolg hilft nicht bei tieferliegenden Selbstwertproblemen. Vielleicht ist es der Gedanke „Ich genüge nicht“, der Menschen antreibt, den Kampf, nirgends eine Angriffsfläche zu bieten, aufzunehmen. Vielleicht ist es auch der schlichte Wunsch nach Anerkennung. Oder die Angst vor dem unberechenbaren Leben. Aber das Leben ist Chaos. Wir sind nicht perfekt und werden es, egal wie sehr wir uns anstrengen, nie sein.

Das Schreiben

Susi Marggraf: Robert McKee, Lehrer für kreatives Schreiben, plädiert für die Einhaltung der Konventionen: „Genrekonventionen (…) hemmen die Kreativität nicht, Sie inspirieren Sie. Die Herausforderung ist, die Konvention einzuhalten, aber das Klischee zu vermeiden“ (R.McKee). Wie schwierig ist es, die Erwartungen Ihrer Leser zu erfüllen und Sie trotzdem zu überraschen?

Kristina Günak: Robert McKee hat recht! Ein Buch braucht ein Genre wie ich Kaffee. Ohne Genre wird das Buch nicht gefunden und gelesen, ohne Kaffee schreibe ich nicht. Besonders wichtig ist die Zuordnung zu einem bestimmten Genre natürlich für den Verlag und Buchhandel, denn hier wird konkret einsortiert und wer sich nicht einsortieren lässt, findet erst gar nicht den Weg zum Verlag und damit in den Handel. Die Konvention gibt einen Rahmen, eine gewisse Vertrautheit im Ablauf, aber letztendlich sind es doch die Szenen und Figuren, die ein Buch zum Leben erwecken. Dass ich meine Protagonisten am Ende nicht über die Klippe schubse oder in einem Liebesroman keine keulenschwingenden Orks auftauchen, versteht sich in meinen Augen von selbst. Der Rest liegt in meinen Fingerspitzen, also berührende, aber­witzige oder lustige Szenen zu erschaffen, die das Buch einzigartig machen. Innerhalb des Rahmens der Genrekonvention.

Begegnungen

Susi Marggraf: Das Leben ist, zum Glück, wenn wir hinschauen, geprägt von skurrilen, schönen, lustigen Begegnungen. Bereichernd? Wie nehmen Sie solche Dinge wahr und wie nutzen Sie diese für Ihre Romane, Frau Günak?

Kristina Günak: Um wahrzunehmen muss man innehalten. Manchmal auch warten. Ich vertreibe mir lästige Wartezeit grundsätzlich mit Beobachten. Wenn ich im Supermarkt wie immer die längste Schlange erwischt habe, gucke ich. Was für Menschen stehen vor mir? Was kaufen sie ein? Wie ist wohl ihr Leben, wie ihre Vergangenheit, was treibt sie an? Wovor haben sie richtig Angst und was lässt sie nachts nicht schlafen? Die Skurrilität, mit der das Leben uns jeden Tag beglückt, findet immer ihren Weg in meine Romane. Gestern wurde ich auf meiner Hunderunde, mitten auf einem abgelegenen Feldweg, fast von einem wilden Radfahrer in Renn-Outfit niedergemäht. Er war einfach enorm schnell, nahezu lautlos und hat sich nicht bemerkbar gemacht. Zum Glück hat Herr Hund ihn nicht umgehend nieder­gestreckt (er ist ein Terrier und neigt zu Übersprungshandlungen). Ich war wütend und rief dem irren Radler hinterher, er hätte verdammt noch mal klingeln können, da drehte er sich um und brüllte in voller Fahrt „Dumme Frau!“ Herr Hund und ich haben ihm noch minutenlang hinterhergestaunt. Eine beeindruckende Dummdreistigkeit, die gar nicht mal so ungefährlich war. Offenbar hielt der Mann sich für unsterblich. Ich werde ihn verarbeiten. Literarisch versteht sich.

Zugehörigkeit

Susi Marggraf: „Beziehungen – Der Motor unseres Lebens“ (J.Bauer, Psychologie Heute 2006) Beziehungen sind ein Thema in Ihren Büchern. Wir Menschen haben ein großes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, wir möchten in Beziehung gehen. Der Mensch braucht andere Menschen um glücklich zu sein. Wie können wir langfristig gelungene Beziehungen leben?

Kristina Günak: Ohne Freundschaft kein Glück, behauptete Aristoteles schon vor knapp 2400 Jahren. Ich halte den Wunsch nach Zugehörigkeit und Freundschaft für einen der stärksten Motoren in unserem Leben. Wir sind schließlich Rudelwesen. Alleine schon genetisch bedingt bedeutete Nähe Sicherheit. Vor dem Säbelzahntiger zum Beispiel, der zum Glück heute nicht mehr so häufig anzutreffen ist, aber das Grundbedürfnis nach Nähe ist geblieben. Tatsächlich ist das Hauptthema in meinen Büchern die Sehnsucht nach Zugehörigkeit – als starke treibende Kraft in uns. Es geht um Freundschaft, Liebe, Nähe, menschlichen Unzulänglichkeit und eben dem Dazugehören, zu einer starken Gemeinschaft, die jeden Einzelnen so akzeptiert, wie er ist. Wie wir langfristig gelungene Beziehungen leben können? Sie fragen mich Sachen! Wenn ich das Patentrezept hätte, würde ich ein Buch darüber schreiben. Ich vermute, der Schlüssel dazu ist gelungene Kommunikation und die eigene Fähigkeit, Menschen sein zu lassen, wie sie sind. Abstand nehmen von überhöhten Erwartungen an den Anderen. Letztendlich sind Beziehungen immer auch Projektionsflächen unseres eigenen Innenlebens.

Die Idee

Susi Marggraf: Wie entwickeln Sie aus einer Idee einen Roman? Erarbeiten Sie initial einen skizzenhafter Plot oder arbeiten Sie gleich detaillierter? Entstehen oder wachsen die Charaktere um die Geschichte herum? Mögen Sie uns einen Einblick geben?

Kristina Günak: Es gibt als erstes den zündenden Funken. Der darf gerne ein wenig in mir herumkokeln, bis ich ihn hervorhole. Dann hängt es davon ab, ob ich das Projekt einem Verlag anbieten möchte. Wenn nicht, darf sich der Stoff in der Stille noch ein wenig entwickeln, ansonsten ist es vorbei mit der Idylle. Dann brauche ich eine klar definierte Figurenentwicklung, einen Plot und ein Exposé. Möglichst detailliert, der Verlag möchte ja wissen, was er da kauft. Das ist die Schreibbasis. Danach, also im konkreten Schreibprozess, plane ich allerdings nicht mehr als die nächsten zehn Seiten. Man könnte jetzt natürlich denken, dass ich im Exposé schon alles fein säuberlich durchgeplant habe. Dafür sind die Dinger ja schließlich da. Letztendlich ist das aber nichts als der einfachen Handlungsbogen, der sich über die Geschichte spannt. Der Rahmen. Die einzelnen Szenen sind das, was meine Romane ausmachen und die haben die Freiheit, sich zu entwickeln. Ich weiß ja, wo es hingehen soll, und das steht letzt­endlich auch in der Kurzzusammenfassung. Jetzt dürfen Dinge passieren und Figuren mich überraschen. Dann wird das Schreiben wie Lesen – nur andersherum.

Protagonisten

Susi Marggraf: Ein Laie könnte sich fragen, wie Sie als Autorin es schaffen, die Figuren signifikant zu zeichnen, konstant den Charakter der Protagonisten durch die Story zu transportieren und dabei authentisch rüber zu kommen … Ist es eine Herausforderung?

Kristina Günak: Ja, jedes Mal wieder. Besonders in den ersten zehn Kapiteln. Deswegen benötige ich für diese Phase Stille und Ruhe und Kaffee. Ich muss den Tonfall finden, die leitenden Motive der Figur, was sie treibt, ihre Ängste erkennen. Wenn ich mir die Figur auf dieser Art „erschrieben“ habe, wird es leichter. Ich kenne sie, weiß, wie sie authentisch handelt. Authentizität ist enorm wichtig. Sie ergibt sich aus den inneren Antrieben und Glaubenssätzen und zeigt sich im äußeren Handeln. Und das muss ich fühlen, dann klappt es auch mit den Schreiben.

Zitat

Susi Marggraf: „Kindern erzählt man Geschichten, damit sie einschlafen – Erwachsene, damit sie aufwachen“ (Jorge Bucay). Welche Bedeutung haben Bücher für Sie?

Kristina Günak: Das mag jetzt nicht verwunderlich sein, aber ich liebe Bücher. Ich habe so viele, dass ich ein eigenes Haus für sie bauen könnte. Ich brauche sie auch alle. Denn es finden sich immer Anlässe, hineinzuschauen. Ich habe Bücher für jede Lebenslage, ich glaube fest an die Bibliotherapie. Sprache hat Macht und die Fähigkeit, zu heilen. Ich habe zu Hause Wohlfühlromane, kluge Bücher, wortwitzige Bücher, leise Bücher. Und einen Kindle, also ein E-Book Reader, habe ich natürlich auch. Da passen noch viel mehr Bücher drauf. Halleluja! Ich bin ein glücklicher Mensch!

Ausblick in 2018

Susi Marggraf: Worauf können sich die Leser freuen?

Kristina Günak: Anfang des Jahres erscheint der 2. Band meiner Fantasy-Serie „Die Seele der Dunkelheit“. Im März folgt dann „Ein Sommer und ein ganzes Leben“. Der Roman erscheint im Diana Verlag unter meinem Pseudonym Kristina Valentin und ist mein absolutes Herzensbuch. Darauf freue ich mich sehr! Auf meiner Homepage und Facebook-Seite nehme ich meine Leser/-innen, wie jedes Jahr, mit in meine Schreibstube, mache Verlosungen, es gibt Events und Einblicke in den Schreiballtag. Diese Seiten leben vom Austausch mit meinen Leser/-innen – ich freue mich also über Besuch!

Susi Marggraf: Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Frau Günak!

Kristina Günak: Danke für das Gespräch!

Susi Marggraf
ist Ergotherapeutin und Encouraging Master Trainerin (Schoenaker-Konzept®). Sie arbeitet in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung und gibt Kurse und Workshops zum Thema Ermutigung in der Brunsviga und auf Anfrage.

Kristina Günak
lebt mit ihrer Familie und Herrn Hund in Braunschweig. Sie verbringt jede freie Minute damit zu schreiben und liebt das Meer, Kaffee, Magie sowie selbstverständlich die große Liebe. Die Autorin schreibt unter den Namen Kristina Steffan und Kristina Valentin auch für den Diana Verlag und LYX.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Stadtglanz Print-Ausgabe 6 / Dezember 2017.

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