Skip to main content

HARZGLANZ

31. März 2016

Essen, Kultur und Küchenchefs

-in einen großen Topf geben und alles ein paar Jahrhunderte köcheln lassen

(Fotografie: fotolia/valery121283, lilechka75)

Genau diesen Monat vor 30 Jahren bin ich aus Montreal nach London gezogen. Jeder, der seinen Geburtsort verlässt, vermisst vieles. Sein Haus, seine Katzen, seine Familie und Freunde … aber ich finde die Frage am interessantesten, welche Gerichte seines Heimatlandes man am meisten vermisst. Ich behaupte, dass ich nicht allzu falsch liege, wenn ich behaupte, dass wir uns am meisten durch das mit unserer Kultur identifizieren, was wir essen.

„Diplomatie geht durch den Magen!“

Montreal mit seiner Vielfalt an Menschen, die dort wohnten, war eine großartige Stadt zum Erwachsenwerden. Ich kann mich noch gut an argentinische, griechische, japanische und portugiesische Restaurants erinnern, in die wir gingen, als ich ein Kind war, und wir aßen gerne Jüdisches wie Bagel und Hühnersuppe mit Matzenknödeln. Das war für mich normal. Wenn man seine Stadt verlässt, stellt man fest, dass es manche Gerichte nirgendwo sonst gibt. Und genau das erlebte ich vor 30 Jahren bei meiner Ankunft in London.

Zugegebenermaßen ist Kanada nicht gerade für seine Esskultur bekannt und vieles wird von amerikanischem Essen zugedeckt, aber mir fehlten Oreo-Kekse, Kraft Dinner, Maccaroni & Cheese, Tortière und Montreal-Bagel einfach … dies alles war in England leider nicht zu bekommen. Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass ich darunter gelitten habe, aber über all die Jahre freute ich mich bei jedem Familienurlaub daheim mindestens ebenso auf einen enthusiastischen kulinarischen Ausflug wie auf Freunde und Familie.

Bis heute gilt mein erster Besuch nach der Landung in Kanada der Villa du Souvlake, dem Ort mit dem besten Souvlaki des Planeten. Unsere Kulturen sind mit unseren Essensgewohnheiten eng verwoben und für mich ist es ein großartiges zwischenmenschliches Erlebnis, wenn wir fremde Küchentraditionen genießen können. Ein Engländer mag nicht der beste Freund eines Franzosen sein, aber wer kann schon einem warmen Buttercroissant widerstehen?

Wir sind so tolerant und aufgeschlossen, wenn es um fremde Esskultur geht, was einem am meisten auffällt, wenn man reist oder – wie ich – emigriert. Ich bin mittlerweile ein Fan englischer Spezialitäten wie Sausage rolls (Bratwurst in Blätterteig) oder Fish Pie (ein Fischauflauf mit Kartoffelpüreehaube) und ja, ich reise mit englischen Teebeuteln im Koffer … Natürlich ist ein Zuviel an Inte­gration auch eine Gefahr für eine Kultur – und natürlich auch eine Esskultur. Ein traditionelles Gericht kann so oft abgewandelt und neu interpretiert werden, dass sein Ursprung in Vergessenheit gerät.

So glauben viele, dass italienische Pasta ihren Ursprung in asia­tischen Nudeln hatte. Wenn also Köche glauben, etwas zu verbessern, löschen sie immer auch ein Stückchen der Originalkultur des Gerichts.

Das muss nicht immer etwas Schlechtes sein und ich glaube, ich bin nicht die Einzige, die gut damit leben kann, dass asiatische Nudeln sich in diese großartige Pasta und das Nationalgericht Italiens verwandelt haben. Aber manche Adaptionen gehen dann doch zu weit. Seit kurzem ist es ein Trend in London, Edel-Poutine zu servieren. Poutine ist vielleicht das einzige Gericht, das fest zu Quebec gehört, wenn man von Tortière absieht. Poutine sind weiche Pommes, die mit Bratensoße und geschmolzenen Käsestücken serviert werden. Es ist eine 1a-Pampe, die sich direkt in den Problem­zonen ablagert, was ideal ist bei -33°C-Wetter wie im Moment in Montreal. Poutine? … ist nun wirklich nicht mein Ding.

Dennoch fand ich es ziemlich widerwärtig, als britische Köche anfingen, an der Poutine herumzufrickeln. Für mich war das ein Affront gegen meine Heimat und nahm der Poutine das, was sie ausmachte: die bodenständige Einfachheit. Wer statt der Käse­bröckchen geräucherten Cheddar verwendet und dazu edle, selbstgemachte Bratensauce mit Granatapfelsirup und frischem Koriander, der kann diese kulinarische Monstrosität nicht mehr Poutine nennen, ohne die Grenzen zu überschreiten, die der Kreativität eines Kochs gesetzt sind.

Es mag ja sein, dass das besser schmeckt, aber das ging einfach zu weit. Aber klar, das ist nur meine Meinung und wenn sich die Italiener nicht der Nudeln aus Asien angenommen hätten, gäbe es heute keine Pasta und das wäre für mich nichts weniger als eine mittlere Tragödie. Um eine Kultur kennenzulernen und in diese einzutauchen, sollte man einfach die authentischen Gerichte probieren. Was mich stets fesselt, wenn ich auf Reisen bin, ist Streetfood. Es gibt einfach keine bessere Art, eine Kultur kennenzulernen, als nachts auf einem Markt, auf dem man Knie an Knie mit Einheimischen sitzt, mit den Fingern isst und die Zeit an sich vorbeiplätschern lässt. Sicherlich spricht einiges für ein Fünf-Sterne-Hotel, wenn man im Ausland ist, aber warum sollte man auf einer Dach­terrasse in einem sterilen Restaurant mit Obern in gestärkten Hemden sitzen, wenn die reale Esskultur auf der Straße wartet?

Dort lebt die Esskultur und dort sollte man sie genießen. Zu keiner Zeit sind mehr Menschen durch die Welt gereist als heute. Noch nie war das Reisen günstiger und damit für viele erschwing­licher. Gleichzeitig führen Kriege, korrupte Regierungen, religiöse Intoleranz und die Verheißungen der Ersten Welt zu zunehmender Migration. Und mit den Menschen anderer Kulturen kommen deren Nationalgerichte und Esstraditionen. Das ist ein bereichernder kulinarischer Aspekt unserer heutigen Zeit und so kann ich heute in London mexikanisches Mezcal trinken, die bes­ten spanischen Croquettas essen und authentische vietnamesiche Pho schlürfen.

Während der letzten 30 Jahre hier in Engalnd habe ich dem enormen Zustrom an fremden Menschen und deren Essgewohnheiten zugesehen, gleichzeitig aber wurden die Briten stolzer auf ihre eigenen Esstraditionen und die Restaurants und die Küchenchefs, die englische Küche servieren, werden genauso gefeiert und sind genauso erfolgreich wie die besten japanischen oder indischen Restaurants. In den Delika­tessen­läden liegen die besten britischen Käse und Backwaren neben franzö­sischen Saucisson und südafrikanischen Straußensteaks. Ich finde das großartig und das London, das ich heute kenne und aus kulinarischer Sicht liebe, ist viel interessanter als 1989. Vielleicht klingt es etwas kit­schig, aber vielleicht folgt dem Enthusiasmus für das Essen aus aller Herren Länder und Ecken der Welt mehr Toleranz auch für die Menschen, die diese kulinarischen Freuden zu uns gebracht haben!

Mehr aus dieser Rubrik





Zur Startseite