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HARZGLANZ

16. Februar 2022

Freigabe von Pharma-Patenten?

Eine Stellungnahme zu den Interessenlagen der Beteiligten

(Illustration: Adobe Stock / lightgirl)

Nur ein Teil der Weltbevölkerung genießt vollumfänglichen Impfschutz. Vielen der Ungeimpften fehlt der Zugang zu Impfstoffen Eine Ungerechtigkeit, die wir zwischen 1. und 3. Welt nur zu gut kennen. Wäre es jetzt nicht sinnvoll – ja, sogar moralische Pflicht – die Patente freizugeben, damit alle Unternehmen Impfstoff produzieren können?

Seit Jahren flammen regelmäßig Forderungen auf, die Pharmaindustrie solle für manche Wirkstoffe auf ihre Patentrechte verzichten oder zum Verzicht gezwungen werden. Die Befürworter argumentieren, dass der Patentschutz zu einem höheren Preis für die entsprechenden Medikamente führt. Das führe dazu, dass nicht alle, für die das Medikament hilfreich sein könnte, Zugang zu dem Medikament erhalten. Es lohnt sich, sich die unterschiedlichen Perspektiven auf diese Frage anzusehen.

Perspektive des Patentinhabers: Das Unternehmen will die Einnahmen aus dem Verkauf des Medikaments optimieren, insbesondere um die hohen Investitionskosten in die Entwicklung des Medikamentes und zahlreicher fehlgeschlagener Versuche zu refinanzieren. Wenn das Patentrecht weltweit fällt, bedeutet das einen drastischen Einbruch an Umsatz und Gewinn. Selbst wenn das Patentrecht aber beispielsweise nur in ärmeren Ländern wegfällt, sind damit signifikante Nachteile verbunden.

Pharma-Unternehmen wissen, dass Medikamente weltweit nicht zum jeweils gleichen Preis verkauft werden können, da dies in Ländern mit geringerer Kaufkraft zu einem verschwindend kleinen Umsatz führen würde. Aus diesem Grund werden Medikamente in Ländern mit geringerer Kaufkraft in aller Regel zu einem geringeren Preis verkauft. Wird das Patentrecht in einem solchen Land aufgegeben, entfällt dennoch ein Großteil des Umsatzes in diesem Land.

Zudem können neue Wettbewerbsunternehmen entstehen, die zu einem günstigeren Preis produzieren. Dabei werden bei den neuen Wettbewerbern auch Prozesswissen und Kundenbindungen aufgebaut, die zu mehr Wettbewerb bei anderen Medikamenten des Patentinhabers führen.

Zudem muss das Unternehmen befürchten, dass ihm auf den Hochpreismärkten die niedrigen Kosten für das gleiche Medikament in dem Land entgegengehalten werden, in dem kein Patentschutz mehr existiert. Der Verzicht auf Patentschutz kann daher auch zu einem Preisverfall auf den Hochpreismärkten führen.

Perspektive der (potenziellen) Erkrankten: Jeder dürfte sich wünschen, sein Risiko zu sterben oder lange krank zu sein, zu minimieren. Wer jetzt erkrankt ist, würde von einer Patentfreigabe nicht profitieren, es müssten erst neue Produktionsstätten errichtet werden. Wer bald erkrankt, könnte profitieren. Wer in weiterer Zukunft erkrankt, möchte zu diesem Zeitpunkt die bestmöglichen Medikamente. Das erfordert Forschung für immer bessere Medikamente und Pharma-Forschung ist notorisch teuer und risikoreich.

Ein gutes Beispiel, wie die Entwicklung neuer Medikamente funktioniert, ist das Unternehmen Moderna. Es wurde 2010 gegründet und erhielt, ohne ein Produkt entwickelt zu haben, über 360 Mio. $ an Kapital von Privat-Investoren, die darauf hofften, die damals kaum bekannte mRNA-Technik würde zu lukrativen Medikamenten führen. Erst 2021 wurde der erste Quartalsgewinn ausgewiesen. Hätte sich beispielsweise herausgestellt, dass die mRNA-Technik ein vorab nicht bekanntes Risiko für die Gesundheit bedeutet, wäre das gesamte Investment verloren gewesen.

Die teure und risikoreiche Pharma-Forschung setzt also beträchtliches Risikokapital voraus. Die Gefahr, Patentrechte zu verlieren, würde ein weiteres Risiko darstellen.

Die Forderung nach einer Freigabe von Pharma-Patenten betrifft besonders häufig Krankheiten, die – zumindest auch – arme Länder stark betreffen. Würden Pharma-Unternehmen also gezwungen, Patentrechte aufzugeben, ist zu erwarten, dass die Unternehmen noch stärker an Medikamenten für Krankheiten forschen, die überwiegend Kranke in Industrieländern betreffen.

Die Risikobereitschaft in der Pharmaforschung muss finanziert werden, wenn medizinischer Fortschritt gewünscht ist. Patente führen zu höheren Kosten des patentierten Medikaments, das schafft den Anreiz zur Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und sichert die Refinanzierung der hohen und riskanten Investitionen in Entwicklung und Zulassung von Medikamenten.

Die Gesetzgeber quasi weltweit gehen davon aus, dass ein Patentinhaber versucht, sein Produkt möglichst gut zu vermarkten, und daher alles tut, um schnell Produktionskapazität zu schaffen. Das kann auch durch Lizenzierung geschehen, wie im Fall Biontech, die mit Pfizer kooperieren. So wurde der Ausstoß an Impfdosen enorm gesteigert.

Was aber, wenn ein Patentinhaber entgegen dem öffentlichen Interesse sein patentiertes Medikament nicht vertreibt? Der Zielkonflikt zwischen dem Recht des Patentinhabers und beispielsweise der allgemeinen Gesundheitspflege ist nicht neu: Bereits das Patentgesetz von 1877 kannte für solche Fälle einen Lizenzierungszwang. So hat der Bundesgerichtshof kürzlich zu einem Aidsmedikament für Säuglinge und Kinder eine Zwangslizenz an dem Medikament Raltegravir erteilt.

Auch der internationale TRIPS-Vertrag kennt die Zwangslizenz. Die Entscheidung über eine Zwangslizenzierung von Patenten liegt aber bei jedem WTO-Mitgliedsstaat und hängt von nationalem Recht ab. Ob dem Ruf einiger Staaten nach einem marktwirtschaftlich problematischen Eingriff in Patentschutz als Schutz- und Anreizmechanismus für Investitionen gefolgt wird, entscheidet jeder Staat alleine, ohne den anderen Rechenschaft schuldig zu sein. Bislang sind die Industrieländer gut mit einer starken Pharmaforschung gefahren, der COVID-Impfstoff ist ein gutes Beispiel dafür.

Es lohnt sich, die Motivationen der jeweiligen Beteiligten etwas genauer unter die Lupe zu nehmen."

Perspektive der Fordernden: Das Einfordern eines Verzichts Dritter erfordert nur vernachlässigbaren Aufwand, signalisiert aber Mitgefühl und erhöht so den Sozialstatus. Im Englischen nennt man solches Verhalten „virtue signalling“. Kommt es zum Verzicht auf die Patentrechte, kann man sich als Privatperson oder Institution als Sieger fühlen. Die negativen Folgen werden in der Regel von Anderen getragen, sind nicht sichtbar oder würden Anlass zu weiteren Forderungen nach dem gleichen Muster geben, wie beispielsweise der nach mehr öffentlich finanzierter Forschung, um einen Rückgang von privat finanzierten Pharmaforschung zu kompensieren.

Zudem ist es für Länder wirtschaftlich lukrativ, kostenlos an das Wissen anderer zu kommen. Kein Wunder also, dass Indien, das die eigene Pharmaindustrie massiv fördert, diese Forderung besonders laut erhebt.

Fazit

Das Patentrecht schützt Investitionen in neue Medikamente und kennt eine Lösung für den Fall, dass ein Patentinhaber sein Recht zulasten der Allgemeinheit missbraucht, in Form der Zwangslizenz. Die Forderung nach Patentverzichten in ein einfaches Mittel, bequem eigene moralische Überlegenheit zu signalisieren oder kostenlos an wertvolles Knowhow zu kommen. Diese Forderung wird daher wohl immer wieder gestellt werden.

Dr. Jan Plöger

Dr. Jan Plöger wurde in Franken geboren, hat in Hannover studiert und in München gearbeitet, bevor er sich vor 12 Jahren für Braunschweig entschied.

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