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HARZGLANZ

7. November 2022

Das Braunschweig-Wolfsburg-Sofa

Timo Grän und Ralf Utermöhlen im Interview mit Ulrich Grethe und Michael Gensicke

(Fotografie: Marc Stantien)

Mit Ulrich Grethe, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Salzgitter Flachstahl GmbH und Michael Gensicke, dem Technischen Werkleiter der Robert Bosch Elektronik GmbH in Salzgitter sprachen Timo Grän und Ralf Utermöhlen auf dem Wasserstoff Campus

1. Herr Gensicke, der Wasserstoff Campus Salzgitter ist ein Leuchtturmprojekt. Was gibt es hier zu sehen und welche strategische Intention haben ihre Arbeiten hier?
Hier haben sich relevante lokale Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammengefunden, um die Wasserstoffaktivitäten der Region zu bündeln. Das umfasst das ganze Themenfeld der Erzeugung, Speicherung und Verwendung des Wasserstoffs mit Fokus der Dekarbonisierung der Industrie und berücksichtigt auch angrenzende Themen wie zum Beispiel Weiterbildungsangebote. Dazu hat der Campus seine Räumlichkeiten auf unserem Bosch-Betriebsgelände, daneben werden hier konkrete Forschungsprojekte der TU-Braunschweig, des Fraunhofer IST sowie der anderen Partner realisiert.

2. Wasserstoff ist ein seit Mitte des 18. Jahrhunderts bekanntes Element – Was sind die aktuellen Forschungstrends rund um Wasserstoff als Energieträger?
M. Gensicke: Neu ist die aktuelle Dynamik des Themas, die sich auch schon vor dem Krieg in der Ukraine aus den Notwendigkeiten der Energiewende ergibt. Entsprechend wird an allen Ebenen von Erzeugung, Verteilung und Verwendung gleichzeitig gearbeitet, also z.B. an der Effizienz von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, an Transport- und Speicherlösungen, wie wasserstoffbeständigen Stahltanks oder der Kostenoptimierung von Produktionsprozessen.

3. Herr Grethe, noch steht die Salzgitter AG für ca. 1% der deutschen CO2-Emissionen, aber sie stellt die Stahlerzeugung von der klassischen Hochofenroute auf eine so genannte Direktreduktion um. Können Sie unseren Lesern erläutern, was sich technisch dahinter verbirgt – und ob Stahl damit teurer wird?
Wir sind mit SALCOS und der jüngst getroffenen Investitionsentscheidung Vorreiter bei der Dekarbonisierung der deutschen und vielleicht auch europäischen Stahlindustrie, insbesondere, wenn es um die Transformation integrierter Hüttenwerke geht. Die H2-basierte Direktreduktion bildet zusammen mit erneuerbarer elektrischer Energie den nachhaltigen Weg in die nahezu klimaneutrale Primärstahlproduktion mit finalen CO2-Einsparungen > 95%. Bereits eine zu Beginn überwiegend erdgasbasierte Direktreduktionroute spart schon über 60% CO2 ein. Dieser Wert steigert sich dann in den Folgejahren mit zunehmender Umstellung auf grünen Wasserstoff. Die Nachfrage nach klimafreundlichem Stahl ist stark. Unsere Kunden sichern sich bereits jetzt für 2026 erste Grünstahlmengen. Der klimafreundliche Stahl wird angesichts der hohen Investitionen sowie den gegenüber der Kohle zu erwartenden höheren Kosten für erneuerbare Energie, Erdgas und Wasserstoff sicherlich teurer sein. Gleichzeitig steigen die CO2-Preise für die konventionelle Produktion, sodass wir in absehbarer Zeit sogar einen Preisvorteil für Grünstahl erwarten. Ein Automobil könnte durch den Einsatz von einer Tonne grünem Stahl z.B. um geschätzt 300 € teurer werden, ein im Vergleich zu sonstigen Sonderausstattungen eher überschaubarer Wert.

4. Wie viel Wasserstoff wird die Stahlproduktion nach der vollständigen Umstellung benötigen und wo soll denn der ganze Wasserstoff für die Umstellung herkommen?
Ulrich Grethe: Wir stellen bis 2033 unsere komplette Rohstahlkapazität von 4,7 Mio. t/a von der kohlebasierten Hochofenroute auf die Erdgas- und zunehmend Wasserstoff-basierte Direktreduktionsroute um. Für die vollständige Umstellung auf grünen Wasserstoff benötigen wir rd. 300.000 t/a. Beim grünen Wasserstoff setzen wir auf 3 Säulen: Die ersten rd. 9.000 t/a kommen ab 2026 aus einer eigenen 100 MW Elektrolyse am Standort Salzgitter. Diese Eigenproduktion könnte im Zuge der Gesamttransformation auf z.B. 500 MW (45.000 t/a) anwachsen. Das sind rd. 15% des Gesamtbedarfs, d.h. der größte Teil des grünen Wasserstoffs muss aus externen Quellen zugeliefert werden. Hierbei setzen wir auf einen z.Z. nach Netzentwicklungsplan bis ca. 2028 geplanten Anschluss an das initiale nationale Wasserstoffnetz (Anschluss bei Peine oder Hildesheim). Hierdurch erhalten wir Zugang zu großen Elektrolyse-/Wasserstoffkapazitäten (mehrere GW) im Emsland (RWE), in Wilhelmshaven (Uniper), den Nordsee-Offshore-Bereich (Orstedt) oder den Niederlanden. Zudem blicken wir in Richtung Osten ins Helmstedter Revier (Avacon) und nach Sachsen-Anhalt und zum Mitteldeutschen Industriedreieck (Uniper, vng). Entsprechende Partnerschaften sind bereits fixiert. Als dritten Baustein schauen wir ab Anfang der Dreißiger auch auf Wasserstoffimporte aus ganz Europa, Nordafrika, dem Mittleren Osten und Übersee.

5. Herr Gensicke, für viele ist die sogenannte Farbenlehre des Wasserstoffs mit grünem, blauen, türkisen und grauen Wasserstoff doch sehr verwirrend - wann ist denn aus aktueller Sicht Wasserstoff ein klimaneutraler Energieträger?
Klimaneutral kann Wasserstoff nur sein, wenn durch die Erzeugung kein zusätzliches CO2 in die Atmosphäre gelangt. Das ist bei grünem Wasserstoff, also der Erzeugung mittels Elektrolyse und bei ausschließlichem Einsatz regenerativer Energien, eindeutig gegeben. Grauer Wasserstoff beschreibt die heute übliche Erzeugung von Wasserstoff aus Erdgas durch Dampfreformation, wobei CO2 freigesetzt wird. Das ist somit eindeutig klimaschädlich und nicht Basis für künftige Überlegungen einer Wasserstoffwirtschaft. Andere Formen, wie blauer, türkiser oder pinker Wasserstoff sind andere Verfahren, bei denen das entstehende z.B. CO2 gebunden wird oder andere Energiequellen wie Kernkraft zum Einsatz kommen. Das kann auch klimaneutral sein, aber man muss da Verfügbarkeiten, Wirtschaftlichkeit, Anwendungsmöglichkeiten und Risiken durch Abfälle und deren Lagerung sehr genau abwägen

6. (An Herrn Grethe) Wie jüngst zu lesen war, hat die Salzgitter AG erfreulicherweise im abgelaufenen Geschäftsjahr ein gutes Ergebnis erzielt. Das ist gut, denn die Umstellung auf grünen Stahl benötigt ja große Investitionen. Was wird hier am Standort Salzgitter in den nächsten Jahren investiert?
Bis 2033 wird das komplette integrierte Hüttenwerk der Salzgitter Flachstahl in drei Stufen auf klimafreundliche Stahlproduktion umgestellt. Hierzu investieren wir, sobald die erwarteten Förderzusagen von Bund und Land endgültig vorliegen, für die erste SALCOS-Ausbaustufe bis 2025 bereits zwischen 1,5 und 2 Mrd. €. Darüber hinaus werden wir auch unsere sogenannten Downstreamprozesse (z.B. Walzwerke und Oberflächentechnik) nach und nach klimafreundlich umrüsten.

7. Herr Gensicke, Wasserstoff für die Stahlerzeugung hat wie wir hören ein großes Potenzial. Wo sehen Sie den Einsatz von Wasserstoff in der Zukunft und wo sehen Sie ihn eher nicht?
Grundsätzlich gilt, dass der effizienteste Einsatz erneuerbarer Energie der direkte Verbrauch ist. Allerdings ist ja nicht immer gerade dann Sonne und Wind in ausreichender Menge und vor Ort verfügbar, wenn der Bedarf gegeben ist, da kommt der Wasserstoff als Energiespeicher ins Spiel. Es wird sich also zeigen, in welchen Anwendungsfeldern der Einsatz von Wasserstoff eine bessere Lösung bietet als der direkte Einsatz von grünem Strom mit Batterien. Da besteht einerseits großes Potenzial in stationären Anwendungen, etwa der dezentralen Stromerzeugung durch stationäre Brennstoffzellen und mittels Nutzung bestehender Gasnetze. Aber auch im mobilen Bereich gibt es durchaus Felder, wie den Fernlastverkehr, Baustellenfahrzeuge oder nicht-elektrifizierte Bahnstrecken, in denen Wasserstoffanwendungen eine praktikable Alternative bieten.

8. An beide: Wasserstoff ist also definitiv kein Hype; es handelt sich um einen Mega-Trend. Welche Rolle kann unsere Region in der Wasserstoff-Wirtschaft einnehmen und woran fehlt es dazu noch?
Ulrich Grethe: Wasserstoff ist definitiv kein Selbstzweck, sondern ein wichtiger Baustein der Energiewende. Beim Stahl sind wir im Vergleich zu anderen Sektoren (welche z.B. Erdgas oder flüssige Kohlenwasserstoffe substituieren) in der besonderen Situation, dass wir mit grünem Wasserstoff als Reduktionsmittel die bisherige Kohle direkt ablösen können. Dies führt zu einer zügigen, sehr effizienten Einsparung großer CO2-Mengen. Durch die breite industrielle Ausrichtung (Stahlproduktion, Stahlrohre für H2-Ready-Infrastruktur), H2-Züge, Brennstoffzelle Automobil) in Südostniedersachsen kann unsere Region eine führende Rolle der nationalen Wasserstoffwirtschaft einnehmen. Ideal wäre die enge Verknüpfung mit dem Ausbau regionaler Ressourcen an erneuerbarer Energie und der Produktion von klimafreundlichem Wasserstoff (z.B. H2-Projekte Kraftwerk Mehrum und Helmstedter Revier). Der Wasserstoffcampus Salzgitter bildet mit Unterstützung der diesbezüglich etablierten Wissenschaft (z.B. Universitäten H, BS, CLZ; Fraunhofer-Gesellschaft) dabei eine geeignete Plattform zur unternehmensübergreifenden Entwicklung und Bündelung von H2-Kompetenzen. Hierzu gehört auch die Ausbildung von Fach- und Führungskräften.

M. Gensicke: Die spezielle Stärke unserer Region ist die hohe Industriedichte sowie das große spezifische Know-how der lokalen Unternehmen und die damit verbundene Anwendbarkeit von Wasserstoff im industriellen Umfeld. Dadurch haben wir es in der Hand, einen Leuchtturm für die Dekarbonisierung der Industrie mit überregionaler Strahlkraft zu bilden. Nun gilt es, den grünen Wasserstoff auch wirklich vor Ort für alle Akteure – große und kleine – verfügbar zu machen. Wir arbeiten daran, aber es wird auch die tatkräftige Unterstützung aus der Politik dazu brauchen.

9. Schließen wir mit einer persönlichen Frage an Sie beide: Was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie in der persönlichen Lebensführung und beispielsweise bei der Urlaubsplanung?
Ulrich Grethe: Das hat sich schon viel verändert. Mit meiner Familie legen wir Wert auf regionale und saisonale Waren und langlebige Güter – wir sind weg vom schnellen Wegwerfen. Im Sommerurlaub haben wir dies Jahr auf eine Flugreise verzichtet und waren mit dem Wagen zum Wandern und Radfahren in der Bretagne und der Vendée,
M. Gensicke: Sehr viel. Wir haben eine eigene PV-Anlage und kontrollieren und reduzieren unseren Energieverbrauch aktiv. Wir kaufen sehr abfallreduziert und bewusst ein. Biomüll wie Küchenabfälle und Grünschnitt wird bei uns in einer Wurmkiste zu Humus, unsere zu entsorgende Gesamtabfallmenge haben wir sehr reduziert. Der Urlaubsplan geht mit dem Wohnmobil durch Schottland – also auch keine Fernreise.

 

 

 

 

 

 

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