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HARZGLANZ

1. März 2019

Zwei Nächte, ein Rezept, einer hat ein Tattoo

Back to Basic

(Fotografie: Benjamin und Julian Brinkmann)

Ein vernebeltes Kochwochenende in der Provinz kann mit ausreichend Mexikaner manchmal die wildesten Geschichten zutage bringen. Und manchmal sind dies die Geschichten, aus denen Legenden werden. Auf jeden Fall habe ich etwas über guten Mexikaner gelernt.

Back to Basic

Mitte Februar fuhr ich mit Freunden nach Rensow in die mecklenburgische Provinz. Ein Wochenende „Back to Nature“, ohne Einflüsse der Zivilisation kochen, essen, trinken und gute Gespräche vor dem Kamin. In meiner Tasche: einige Flaschen Papa Fuego. Der Mexikaner des gleichnamigen Braunschweiger Start-ups, das es sich zur Mission gemacht hat, den Szene-Drink ins Supermarktregal zu bekommen. Und zwar in der Qualität, in der man ihn auch in den Kneipen St. Paulis oder eben hier in Braunschweig kennt. Neben den Flaschen fand sich noch ein geheimnisvoller Briefumschlag im Gepäck.

Die Sachen waren schnell gepackt, die Anreise über die B4, Dannenberg und Schwerin ein kleiner, fixer Roadtrip, der nach knapp vier Stunden sein Ziel erreichte – das Gutshaus Rensow. Als Unterkunft stand uns die „Alte Schule“ zur Verfügung. Ein etwas vom Schuss abgelegenes Gebäude, welches auf den ersten Blick vermuten lässt, dass es abgerissen werden soll. Aber weit gefehlt. Mit viel Liebe zum Detail wurde das gesamte Gebäude im sogenannten Wabi-Sabi-Stil eingerichtet. Ein japanisches Design-Konzept, das Patina zeigt und durch herbe Schlichtheit besticht: ein Holzofen, kaltes Leitungswasser und knorrige, antike Möbel. Wunderschön.

Gleich nach der Ankunft und der herzlichen Begrüßung und Einweisung der Gutsbesitzer Knut und Christina ging es in die Küche, der Ofen wurde angeheizt und Brotteig vorbereitet. Der Tisch wurde schon mal gedeckt und schwupp stand die erste Flasche Papa Fuego auf dem Tisch. Die milde Variante.

Die schärfste Chilli der Welt

Genüsslich schraubten wir die Flasche auf und gossen behutsam zur ersten Runde. Lecker. Vollmundig tomatig, fruchtige Frische und dominierend scharfe Noten von Chili und Pfeffer. „Schmeckt nach St. Pauli-Kiezkneipe!“, sagte Ben. Vor der Abreise deutete Olli von Papa Fuego: „Die Schärfe kommt von insgesamt fünf Sorten: die Aji Amarillo, die Sotch Bonnet, die Peter-Pepper-Orange, die Jalapeño und die schärfste Chili der Welt – die Carolina Reaper, bei der bis zu zwei Millionen Scoville keine Seltenheit sind.“ Na dann: „Salud Hombres!“

Während die Tischrunde über Scoville und irgendwelche Currywurst-Wettbewerbe faselt, ging ich in die Küche und richtete das Abendessen: das frischgebackene Sauerteigbrot mit Fenchel und Kümmel aus dem Holzofen war fertig, dazu Schweineschmalz, Vorarlberger Bergkäse, Speck und Wurst aus der Steiermark und Hausgeschlachtetes aus Mecklenburg. Als Begleitung Craft Beer von Ratsherrn und Runde zwei bis fünf. Wobei Runde fünf nicht mehr präzise, sondern deutlich verschwenderischer in die Gläser gefüllt wird, sodass sich der Tisch langsam zu einem Tomatensee entwickelte. Ein gelungener Auftakt also und so saßen wir an diesem Abend noch lange zusammen und die Gespräche schwebten satellitengleich um Shots, Eckkneipen und das beste Mexikaner-Rezept.

Es geht um die Wurst

Unser Kochwochenende stand von Beginn an unter dem Motto „Back to Nature“. Wir wollten das verwerten, was lokal und saisonal ist – und zwar alles. Also baten wir unseren Hausherren Knut, uns mit dem lokalen „Catch of the Day“ zu versorgen. Und so ging es nach einem deftigen Kaiserschmarrn früh morgens in die Gutshaus-Küche.

Auf der langen Tafel waren unsere Tagesaufgaben schon bereitgelegt: Ein 5 Kilo Wildschweinblatt für das Mittagessen und ein 10 Kilo Wildschweinsattel, den Triglaff, der Hofhund, schnuppernd inspizierte. Und weil wir dem Prinzip Nose-to-Tail folgen wollten, auch die leckeren Innereien. Wenn man schon Fleisch isst und der Natur Leben entnimmt, dann muss auch alles verarbeitet werden.

Trotz des Frühstücks knurrte der Gruppe schnell der Magen. Basti hatte fast unbemerkt die ersten Kaventsmänner (ein Dunkelbier von Ratsherrn) unter uns Schlachterlehrlinge geschmuggelt.

Der Fleischwolf und Lammdärme standen bereit und schwupp wurden Wildschein-­Salsiccia-Würste durch den Wolf gedreht: Basti löste das Blatt aus, Ben mischte Piment, Fenchel, Zitronenabrieb, frische Habanero und Meersalz im Mörser und grüner Speck wurde beigemengt. Die Schweinedärme hatten wir fix gefüllt und in die gusseiserne Pfanne auf dem holz­befeuerten Ofen gelegt. Der Raum füllte sich schnell mit wohligem Bratgeruch. Und während unsere Würste so vor sich hin schmorten, kam unser Freund Papa Fuego dazu und die Tagesrunden eins bis vier verschärften uns die Wartezeit. „Was ein geiler Auftakt für den Nachmittag, Jungs!“, sagte Ben, während wir die Würste gierig verschlangen.

Kochen mit dem Gutsherrn

Schon vor Beginn der Reise war klar, dass das Wochenende kein Erholungsurlaub werden würde. Nachmittags waren wir schon wieder mit Knut in seiner Küche verabredet, um das Abendessen vorzubereiten. Vorher aber Runde fünf und sechs.

Und so ging es für uns hoch in die Gutshausküche. Wundervoll. Ein alter holzbefeuerter Herd mit Ofen, wie man ihn vielleicht noch aus Großmutters Zeiten kennen mag. Alte gusseiserne Pfannen und Bräter an den Wänden. Keine modernen Kochutensilien à la Kitchen-Aid oder Thermo-Mix, sondern echtes, rustikales Kochen. Knut legte dabei großen Wert darauf, uns ausschließlich lokale und saisonale Zutaten zu geben: „Ich bin einfach der Meinung, dass Regionalität das Aller­wichtigste ist. Und dazu gehört, sich auch saisonal zu ernähren. Mit dem, was die Umgebung, in der du lebst, dir gibt. Ok, der Rotwein, der ist jetzt nicht von hier. Aber schau mal die Kartoffeln und die Rote Bete: alles von hier!“

Wir waren beeindruckt. So zog sich jeder fleißig seine Schürze an, Teams wurden für die einzelnen Gänge und Gerichte gebildet und wir begannen mit dem Kochen. Die Wurzeln wurden gewaschen, Rotkohl im Ofen vorbereitet und der Schweinsattel zum Karree präpariert. „Der kommt jetzt draußen auf den Gasgrill, bis der Kern 56 Grad hat!“, deutete Knut.

Als kleinen Gruß aus der Küche sollten die Herzen zubereitet werden. In dem gusseisernen Bräter wurde Schweineschmalz ausgelassen, Zwiebeln und Knoblauch geschmolzen, die Herzen dazu gegeben und mit Weißwein abgelöscht. Ein Zischen durchfuhr den Raum, warmer wohlriechender Dampf vernebelte die Kochstelle und erdige, waldige Aromen stiegen uns in die Nase. „Besser als Bio, Freunde!“ Und was für ein Geschmack – Wahnsinn.

„Heute Abend kommen noch weitere Gäste. Es wird eine große Runde.“, sagte uns Knut. Er und seine Frau waren wirklich tolle Gastgeber. Sie lieben es, Freunde und Fremde zu bewirten, ihr Haus mit Gesellschaften zu füllen, gemeinsam zu kochen und zu bewirten. „Am Ende zahlt jeder, was er meint, geben zu können. Das ist hier unser Prinzip.“ Fair und auch irgendwie cool. Komplett ungezwungen, aber doch verbindlich.

Zu Tisch bei fremden Freunden

Mittlerweile war es Abend und gegen 20 Uhr kamen Nachbarn, Freunde und weitere Gäste aus dem Gutshaus im Speisesaal zusammen. Auch hier bewies die Frau von Knut unglaubliches stilistisches Geschick, mit wenigen antiken Möbeln und Accessoires einen atmosphärischen Raum zu erschaffen. Die lange Tafel war rustikal gedeckt. Altes Geschirr und Besteck, bleikristallene Gläser, Wasserkaraffen. Alte Kandelaber hüllten den Raum in warmes Kerzenlicht.

Die Tischrunde war begeistert. Als Vorspeise reichte uns Kurt Grünkohl-Bruschetta. Unglaublich und doch so einfach: klein­gehackter Grünkohl, Schalotten, Knoblauch, Senf, Majonäse und Essig. Darauf folgte unser Hauptgang: Wildschwein-Karree mit gebackenem Rotkohl, bunten Rüben und gebackenen Kartoffeln. Dazu Ratsherrn und Rotwein.

Irgendwann kamen die Gespräche von selbst auf unser mexikanisches Mitbringsel. Drei Flaschen scharfer Papa Fuego standen auf dem Tisch und wurden durch die Gäste bewundert. Auftakt also, unsere Runde sieben und Tischrunde eins einzuläuten. Im Vergleich zu der milden Variante ein Feuerwerk auf der Zunge – und das nicht nur seiner Schärfe wegen. Aromatisch, fruchtig und vollmundig. Aber auch echt scharf. „Hier ist sie drin, die schärfte Chili der Welt, die Carolina Reaper!“, sagte ich. Und so ging Runde um Runde über den Tisch.

Als die Kerzen auf dem Kandelaber schon deutlich runtergebrannt waren, fragte einer der Gäste, ob wir wüssten, wo die Jungs von Papa Fuego das Rezept herhaben. Der Opener für eine wahrhaft unglaubliche Geschichte. Olli hatte uns in dem anfangs erwähnten Briefumschlag eine kleine Geschichte mit­gegeben. Keine Ahnung, ob es daran lag, dass der gesamte Tisch mittlerweile ordentlich angeschossen war oder dass der fahle Kerzenschein uns in mystisches Licht hüllte, jedenfalls hingen plötzlich alle gebannt an meinen Lippen, als ich den Brief öffnete und so lauschte der Kreis bedächtig und voller Ehrfurcht meiner Lesung:

Die Geschichte eines Roadtrips durch Mexiko

„Vor ein paar Jahren waren wir gemeinsam auf einem Roadtrip durch Mexiko. Wir tourten mit dem Landbus von Ort zu Ort und verdienten uns hier und da etwas dazu. Jedenfalls kamen wir eines Tages in diesen kleinen Ort mitten in der Wüste. Das Hostel, in dem wir eincheckten, hatte im Erdgeschoss eine Kneipe wie im Tarantino-Film: In der Ecke saß ein betrunkener Mexikaner mit Strohhut und an der Bar lümmelten dunkle Gesellen und brummten Zaubersprüche in ihre Mezcal-Gläser. Nun, wir hatten Durst, bestellten uns einige Biere und plötzlich stellte uns der Wirt drei Shotgläser auf den Tisch. „For you, hombres.“, sagte er und ging lachend zurück hinter seinen Tresen. Die Leute in der Bar nannten den Wirt „Papa Fuego“ und der Name war Programm. Wir musterten die Gläser, trauten uns zuerst nicht recht. Da aber die Blicke der anderen Gäste auf uns fixiert waren, gaben wir dem Druck nach und langten zu. Wow, sauscharf! Unglaublich scharf! Zu scharf! Und das Lachen der wenigen Gäste füllte den Raum. Um das Ganze abzukürzen: Es wurde ein megalustiger Abend und wir tranken uns mit dem Wirt die Seele aus dem Leib. Irgendwann fragte ich ihn nach dem Rezept und er sagte, dass er uns das Rezept nur geben werde, wenn er es einem von uns auf den Rücken tätowieren darf. Lachend verweigerten wir sein Angebot und tranken weiter.

Am nächsten Tag wachten wir alle mit einem riesigen Kater in unseren Betten auf. Max war der erste, der verstand, dass unser Bus in 20 Minuten abfahren würde und dass wir keine Zeit mehr für ne Dusche oder sonstwas hätten. Also stopften wir fix unsere Sachen zusammen, rannten aus dem Hostel Richtung Busstation und erreichten gerade noch so den Bus. Verschwitzt und verkatert versuchten wir, den letzten Abend zu rekapitulieren. Aber irgendwie waren die Erinnerungen von uns allen komplett weg – Hangover halt. Das Rezept hatte Papa Fuego uns jedenfalls nicht gegeben. Das war klar. Dafür aber nen mega Schädel. Im Bus spielten wir das klassische hätte-wäre-könnte-Spiel: Stellt Euch vor, wie cool es wär, das Rezept zu haben. In Deutschland wäre das der beste Mexikaner der Welt und wir könnten ein Business daraus machen. Man stelle sich vor: Wir brächten diesen Mexikaner ins Supermarktregal. Auf jeder Party würde man unseren Mexikaner trinken. Plötzlich fasste sich einer von uns am Rücken und meinte, dass er mega Schmerzen hätte. Schmerzen hatten wir alle, aber eher im Kopf. Aber einer hat ja immer ein ganz besonderes Wehwehchen. Er hörte nicht auf zu jammern, riss sich irgendwann das T-Shirt vom Leib und … da war es! Das Rezept, auf seinem Rücken, eintätowiert! Es war eine bizarre Situation und wir waren gefangen zwischen Schock, Freude und dem Drang, einfach laut loszulachen.

Was sollen wir sagen: Zurück in Deutschland haben wir das Rezept sofort ausprobiert und der Geschmack war wie bei Papa Fuego in Mexiko. Der Rest ist Geschichte!“

Ob der Brief der Jungs nun ne Räuberpistole war oder nicht? Keine Ahnung. Aber es war ein wunderbar verrückter Abend, ein irres Wochenende und auch für uns irgendwie ein Roadtrip raus aus dem Alltag. Ein Trip, den ich jedem nur empfehlen kann.

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